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Alt 26.03.2013, 20:48
thrombo-boy thrombo-boy ist offline
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Standard AW: Essentielle Thrombozythämie/Kontakte zu Betroffene

Hallo,

da ich nach meiner Diagnose sehr davon profitiert habe, Erfahrungsberichte von anderen zu lesen, stelle ich mal meinen rein.

Ich bin Mitte 20 und wurde Ende letzten Jahres mit dem Verdacht Essentielle Thrombozythämie konfrontiert, nachdem bei einer Blutuntersuchung zufällig ein erhöhter Thrombozytenwert festgestellt wurde (knapp 2.000.000). Der Arzt hat dann sofort eine Knochenmarkpunktion gemacht und eine Woche später waren die Ergebnisse da, die die Diagnose ET (JAK2-negativ) bestätigt haben. Allerdings hatte ich aufgrund des hohen Werts schon damit gerechnet, so dass sich der Schock in Grenzen hielt. Ich war dann eher froh, dass es nichts schlimmeres war.

Mein Arzt hat dann einen Termin in der hämatologisch-onkologischen Ambulanz des örtlichen Uniklinikums vereinbart, wo ich seitdem in Behandlung bin. Zuerst wurde ich dort gründlich durchgecheckt (alles in Ordnung, Milz auch normalgroß) und dann mit Litalir behandelt, was nach einer Dosiserhöhung von 3x1 auf 2x2 auch sehr gut angeschlagen hat. Nebenwirkungen hatte ich in der Zeit keine außer einem trockeneren Mund. Als meine Thrombozyten dann nach einigen Wochen im Normbereich waren (360.000) hat mein Arzt angeraten, auf Peg-IFN umzustellen. Nach anfänglichem Zögern habe ich mich dann darauf eingelassen, wobei ich vorher einige wissenschaftliche Veröffentlichungen als Entscheidungshilfe gelesen habe. Mich hat dann schließlich die Tatsache überzeugt, dass in zahlreichen Studien (allerdings bei JAK2-positiven) Patienten eine molekulare Remission beobachtet werden konnte und teilweise auch nach Absetzen von Interferon für recht lange Zeiträume die Thrombos nicht wieder stiegen. Zumindest kann in den klinischen Studien die Dosis über die Zeit meist reduziert werden. Auch habe ich den Eindruck gewonnen, dass man mit Interferon am ehesten einer Knochenmarkfibrose und einer Milzvergrößerung vorbeugen kann. Ich bilde mir deshalb ein, dass Interferon einem "Heilmittel" derzeit am nächsten kommt. Diesen Übersichtsartikel fand ich sehr interessant diesbezüglich: http://www.medscape.com/viewarticle/754001

Ich spritze mir (der Vorgang ist völlig harmlos) jetzt seit ca. 10 Wochen Pegintron (80mcg) wöchentlich in den Bauchspeck, wobei die Nebenwirkungen nach der ersten Injektion wirklich krass waren. Ich habe mir das Pegintron mittags injiziert und hatte dann am frühen Abend Schüttelfrost, Ohrenpiepen und Schweißausbrüche (trotz Paracetamol). Am nächsten morgen war ich sehr müde und auch einige Tage danach. Sechs Wochen nach der Umstellung auf Pegintron waren die Thrombozyten wieder auf 700.000 gestiegen, so dass mein Arzt die Dosis erhöhen wollte, was ich aber erstmal abgelehnt habe. Und siehe da: zwei Wochen später waren sie wieder bei 460.000. Die Nebenwirkungen haben wöchentlich abgenommen bis zum fast völligen Verschwinden, eine erhöhte Müdigkeit am Tag nach der Injektion ist höchstens noch minimal vorhanden. Allerdings habe ich jetzt seit zwei Wochen ein leises aber dauerhaftes hochfrequentes Ohrgeräusch, was ich bei Stille hören kann. Ich hoffe aber mal, dass das mit einer reduzierten Dosis wieder verschwindet - abwarten.

Also bisher sehe ich nicht, dass die Krankheit mich dauerhaft einschränken wird. Ich bin eher aktiver geworden und achte mehr auf meine Gesundheit, vielleicht lebe ich mit der Diagnose also eher länger als kürzer! Eine Gewöhnungsphase an das Interferon sollte man aber auf jeden Fall einplanen, wenn man sich für das Medikament entscheidet. Und dann dem ganzen Zeit geben und nicht vorzeitig die Dosis erhöhen. Das Zeug braucht wohl seine Zeit um voll zu wirken...

Ansonsten noch Überlebenstipps für Frischdiagnostizierte:

- Beschäftigt euch (intensiv!) mit den Behandlungsoptionen, aber nicht allzu sehr mit der Gefahr einer Progression der Krankheit, bringt eh nix!

- Macht euch klar, dass euer subjektives Wohlbefinden hauptsächlich von eurer Psyche abhängt und nicht von körperlichen Symptomen!! Mein interferonbedingter Tinnitus ist ein gutes Beispiel: Die ersten Tage hat der mich völlig fertig gemacht, mittlerweile stört er mich praktisch nicht - obwohl das Symptom objektiv exakt das gleiche ist.

- Nehmt euch die Zeit einen guten Arzt zu finden, ihr werdet viel Zeit bei ihm verbringen. Ich bin derzeit alle 1-2 Wochen zur Blutuntersuchung im Krankenhaus und wenn die Schwestern und der Arzt nicht so nett wären wie sie sind, hätte ich sicher eine viel negativere Haltung zu der Krankheit

- Denkt immer daran, dass ihr es vergleichsweise gut getroffen habt. Da ich in der Onkologie behandelt werde und auch da im Wartezimmer sitze, weiß ich wovon ich rede.

- wenn ihr euch über die Forschung am laufen halten wollt, die meiner Meinung nach beste Quelle neben Google Scholar ist www.mpnresearchfoundation.org !

Ich hoffe irgendein ET-Patient da draußen profitiert heute oder in Zukunft von meinem Erfahrungsbericht. Falls sich bei mir was ändert, stelle ich das hier rein. Bis dahin alles gute!

Geändert von thrombo-boy (26.03.2013 um 23:22 Uhr)
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