AW: junge Frauen und der Tod der Mutter
Hallo,
ich hab mich total gefreut, dass ich nach einer Stunde schon eine so liebe Antwort auf meinen Beitrag hatte - vielen lieben Dank, vanitas !! Es tut wirklich gut zu wissen, dass man nicht allein ist. Bisher hab ich immer nur auf Foren mitgelesen, aber nicht selber geschrieben (noch ne Gemeinsamkeit, hase :-))
Im Grunde fühle ich mich relativ gefasst, relativ wohlgemerkt.. Das mag damit zusammenhängen, dass ich schon seit der Metastasen-Diagnose regelmäßig abends heulend in den Armen meines Freundes lag und mich schon seit Dezember versuche, mit dem Gedanken anzufreunden, dass meine Mama nie Oma sein wird. Das finde ich mit am schlimmsten, dass sie nicht da sein wird, um das mitzuerleben und ich sie nicht um Rat fragen und die Freude und die Sorgen mit ihr teilen kann.
Heute Morgen bin ich trotz miserablem Wetter im Schlosspark alleine zwei Stunden spazieren gegangen. Es lag ein bisschen Schnee, der in der Nacht gefallen war, es hat ein bisschen geregnet und der Park war menschenleer. Das war genau das, was ich gebraucht hab. Ich hab viele Fotos gemacht, bin zwischen den Enten und den Statuen rumgestapft und konnte meinen Gedanken freien Lauf lassen.
Und heute Abend haben wir Omas Geburtstag ein bisschen nachgefeiert. Haben zusammen gegessen und erzählt und alte Bilder angeschaut. Zwischendurch hab ich immer wieder gedacht: Es ist irgendwie so, als wäre Mama nur gerade im Bad oder in der Küche und würde gleich wieder an den Tisch kommen. Ich glaube, dem Rest der Familie ging es genauso.. Wir haben sogar Witze gemacht über ihre Frisur und ihre Brillen in den 70ern und 80ern. Nur als Oma das Geschenk ausgepackt hat, das Mama noch für sie ausgesucht hat und ihre Glückwunschkarte gelesen hat, ist sie in Tränen ausgebrochen und wir haben alle schwer geschluckt. Klar..
Aber ich bin sehr gespannt, wie das in den kommenden Wochen und Monaten weitergeht. Ob ich einfach so weitermachen kann wie bisher, mich auf die Arbeit konzentrieren, die Freizeit genießen wie eh und je usw..
Ich weiß noch gar nicht, ob ich mit meinen Freunden so viel über das Thema reden möchte. Eigentlich denke ich eher, dass ich jetzt ein bisschen Zeit für mich brauche und dann eher davon profitiere, wenn die Zeit mit den Freunden so ist wie immer. Ich habe aber zwei unter meinen Freunden, die auch gerade im Januar dieses Jahres ihre Mama bzw. ihren Papa durch Krebs verloren haben. Mit denen kann ich auf jeden Fall immer reden, auch wenn schon Zeit vergangen ist, denke ich. Es ist unglaublich, wie viele Menschen von dieser Krankheit betroffen sind!
@hase: ich freue mich, wenn wir uns austauschen können. Es tut wirklich gut, alles aufzuschreiben, das merke ich gerade.. ich glaube, reden könnte ich im Moment nicht so gut wie schreiben.
Du fragst nach den letzten Tagen meiner Mama:
Also, meine Mama kam am 11. März mit dem Notarzt (der über ne Stunde verspätet kam) ins Krankenhaus, weil sie ganz starke Schmerzen im Bauch hatte. Sie hatte ein paar Tage vorher die 2. Chemotherapie angefangen (u.a. mit Avastin), die den Krebs noch aufhalten sollte. Die wollte sie eigentlich schon nicht mehr machen, wie mir mein Vater erzählt hat. Ich glaub, sie hat gewusst, dass das nichts mehr bringt, hat es aber mehr oder weniger uns zuliebe gemacht, weil wir noch daran geklammert haben (sie hatte zu dem Zeitpunkt auch schon die Gelbsucht). Die Chemo wurde dann auch gleich abgebrochen und nach zwei oder drei Tagen wurde sie in ein anderes Krankenhaus verlegt, nachdem klar war, dass sie keine Chemo mehr bekommen würde.
Ich glaube nicht, dass sie die letzte Woche noch große Schmerzen hatte, sie hat die ganze Zeit Morphin bekommen usw. Durch das Leberversagen hatte sie die typischen Merkmale: Gelbsucht, die Sprache wurde immer langsamer und gegen Ende undeutlicher, das Gehirn arbeitete einfach nicht mehr normal. Trotzdem hat sie noch wenige Tage vor ihrem Tod ab und zu mit uns gelacht und hat sich nie über Schmerzen oder ihre Krankheit beklagt (was aber auch nicht ihre Art war). Ein Tag eine knappe Woche vor ihrem Tod war wohl besonders gut - mein Vater hat erzählt, da war ihre Hautfarbe viel besser und ihr Blick ganz klar und sie war guter Dinge. Oft hatte sie aber auch einfach die Augen geschlossen, wenn wir zu Besuch waren und wir waren manchmal nicht ganz sicher, ob sie uns zuhört, wenn wir uns untereinander unterhalten haben.
In ein richtiges "Leberkoma" ist sie nicht gefallen, höchstens in den letzten Stunden, soweit ich das als Laie beurteilen kann. Als mein Bruder und ich am Mittwoch Vormittag zu ihr ins Zimmer kamen, hab ich erst schon nen Schock gekriegt, weil das Bett leer war. Ich dachte, wir wären zu spät. Aber da saß sie neben dem Bett auf ihrem "Klostuhl", auf den sie sich offenbar selber noch gesetzt hatte. Und das war ein paar Stunden vor ihrem Tod !! Wir haben ihr ins Bett zurück geholfen und sie hat auch noch ein paar Worte gemurmelt - das hab ich leider nicht alles verstanden. Aber es hat sie auch wahnsinnig angestrengt, zu reden. Aber sie hat gesehen, dass wir gekommen sind und hat auch noch genickt, als ich gesagt habe, dass ich ihr das Gedicht vorlesen will. Danach hab ich ihr auch noch gesagt, dass wir uns um Papa kümmern, ich glaube das war ihr sehr arg, dass sie ihn alleine zurücklassen muss. Ich hoffe, dass sie das noch verstanden hat und dass es sie beruhigt hat. Ganz sicher bin ich mir auch nicht, weil sie ja auch so stark unter Medikamenten stand.
Diese letzten Stunden waren natürlich sehr schwer, aber ich bin sehr dankbar, dass ich so lange bei ihr war. Ich habe die meiste Zeit ihre Hand gehalten oder ihren Kopf gestreichelt und habe einfach nur tiefe Liebe empfunden. Natürlich sah sie nicht mehr aus wie in gesunden Tagen und bei einem anderen Menschen hätte mich das vielleicht abgestoßen, aber bei ihr nicht. Ich hatte keine Scheu, sie anzufassen.
Die letzten fünf oder sechs Stunden hat sie die Augen nicht mehr aufgemacht und die Atmung wurde immer schwerer, immer schwerer. Die Ärzte haben ihr noch mal ein entspannendes Mittel gegeben, damit sie keine Angst empfindet und ich denke auch, dass es ganz gut gewirkt hat. Es war nicht dramatisch. Zeitweise haben wir uns normal unterhalten und es war fast, als würde sie einfach schlafen. Für uns war es dann natürlich schlimm, als der Atem ganz stehen blieb, aber für sie glaube ich nicht mehr. Ich hoffe, sie hat irgendwie noch gemerkt bzw. gewusst, dass wir alle um sie rum sind.
So, jetzt hab ich aber ganz schön lang geschrieben.. Du kannst gerne alles fragen, was Du wissen willst. Danke noch mal, dass Du mich persönlich angeschrieben hast, das hat mich sehr gefreut!
Ach, doch noch was:
Ich glaube nicht, dass wir jemals vergessen werden, wie unsere Mamas ausgesehen haben - da gibt es ja auch Fotos. Die Stimme und der Geruch verblassen schon eher, denke ich mal. Ich hab am Mittwoch Morgens (Mamas Todestag) den "Fehler" gemacht, als ich kurz allein im Haus meiner Eltern war, in Mamas Zimmer zu gehen und den Kleiderschrank aufzumachen. Da hätte ich am liebsten losgeschrien: "Du darfst nicht gehen!!!" und mich in den Schrank gesetzt und die Tür hinter mir zugemacht. Gottseidank ging dann unten die Tür und mein Bruder kam.
Ganz liebe Grüße an alle Mitlesenden und ich hoffe, dass wir alle lernen, damit zu leben.
Marita
P.S.
wegen des Alters - Ich schätze mal, mit 31 fühlt man sich wieder jünger.. das ist nur der Schock, wenn plötzlich ne drei davor ist, hab ich erst seit ein paar Monaten ;-)
P.P.S. @vanitas
Ich glaube eigentlich auch nicht unbedingt an ein Leben nach dem Tod. Aber es ist sooo tröstlich, an irgendeine Form des Weiterlebens zu glauben, dass ich es einfach versuchen will.
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