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Alt 11.04.2007, 02:53
Liz und Willy Liz und Willy ist offline
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Standard AW: Hilflos auf Omas Tod warten

Liebe NurIch

Ich bin nicht nur seit mehr als 4,5 Jahren Angehörige eines Krebskranken, sondern auch selbst betroffen, zudem bin ich Krankenschwester von Beruf die sich auf Sterbebegleitung spezialisiert hat. Zu aller letzt habe ich als Kind mein Vater an Lungenkrebs verloren und meine Grosseltern wie auch meine Schwiegereltern... und viele mehr. Seit 1986 muss ich langsam Abschiednehmen von unserem Sohn der eine tödlich verlaufende Erkrankung hat.

Also der Tod ist allgegenwärtig.

Ich versteh auch wenn man es sich nicht antun will, muss aber immer wieder Angehörige darauf hinweisen, dass das Sterben und das Begleiten des Sterbenden ein Teil der Trauer und deren Verarbeitung ist. Das Bild von den letzten Tagen, Wochen, Monaten oder gar Minuten eines schwerkranken sind zeitlich begrenzt allgegenwärtig. Im Laufe der Trauerarbeit - die ihre individuelle Zeit benötigt, werden diese Bilder blasser und die Erinnerungen an den Menschen wie er gelebt hat werden wieder mehr zum Vorschein kommen.

Weit schlimmer ist es mit den Schuldgefühlen zurecht zu kommen die man sich je nach dem macht wenn man jemanden nicht begleitet hat - man wird sich immer wieder fragen "warum bin ich da gewesen - er/sie waren immer für mich da und ausgerechnet dann wo ich ihnen etwas Gutes hätte tun können, verliess mich der Mut und die Angst vor dem Tod siegte". Viele Menschen können, wenn sie nicht dabei sind, den Tod nicht annehmen und schlecht Abschiednehmen - dies wird, auch wenn es immer noch sehr schwer ist, mit der Begleitung beim Sterben etwas erleichtert. Diese Schuldgefühle können Jahrzehnte andauern und sind schwer zu verarbeiten und ertragen, weil man eben die Zeit nicht zurück drehen kann. Ich kenne niemand der er reuig war dabei zu sein, ich kenne aber viele die es reuig sind nicht dabei gewesen zu sein.

Auch wenn ein Mensch in den letzten Tagen eher sein Umfeld ablehnt, so sah ich nicht selten die Situation wie Menschen in der Minute des Loslassens und des auf den Weg machen zur letzten Reise, noch die letzten Tränen vergiessen - z.T. war es nur eine einzige Träne – eine Perle, ein Diamant, ein Lichtlein der Liebe und Dankbarkeit, ein Zeichen des Abschieds, wenn keine Kommunikation mehr möglich war, ein Zeichen der Liebe... eine Liebe die über die Schwelle zwischen Leben und Tod bestehen bleiben wird. Tränen der Erleichterung, dass es vorbei ist, aber auch Tränen des Abschieds und der Dankbarkeit nicht alleine zu sein. Das sind Momente an die ich mich bei jedem meiner Patienten aber erst recht bei meinen Familienangehörigen und Freunden die schon gehen mussten gerne erinnern tun. Sie geben mir unheimlich viel Kraft, denn sie bewiesen mir jedesmal, dass ich mit der Entscheidung sie zu begleiten die richtige Entscheidung traf.

Ich hatte auch nicht wenige Patienten, Angehörige und Freunde die extra warteten bis ihre aller Liebsten oder wenn sie alleine waren das Personal bei ihnen waren um dann loslassen zu können - sie waren erleichtert, dass jemand mit ihnen im Zimmer war. Sie atmeten noch ein paar wenige Atemzüge um dann ihre Reise antreten zu können - im Beisein von jemandem, in Frieden und ohne Verzerrungen des Gesichts, ein ruhiges Hinüber gleiten.

Es gibt auch Sterbende die warten extra bis jemand nur für ein paar Minuten wieder den Raum verlässt, z.B. um aufs Klo gehen, ne Zigarette rauchen oder en Kaffee zu nehmen. Erst dann lassen sie los und sterben. Die Angehörigen kommen wieder ins Zimmer und sind entsetzt, dass er/sie gestorben sind ohne dabei zu sein, haben dann oft Schuldgefühle, dass sie nicht bei ihnen waren.

Sie fragen sich "warum konnte ich nicht 5 Minuten warten und später raus gehen?" oder "warum hat der Sterbende nicht gewartet bis ich wieder da war?", dabei war es der oft "unbewusste" Wille des Sterbenden so zu gehen. Für die Sterbenden stimmte es so gehen zu können, sie hatten zuvor Abschiednehmen können und haben selber entschieden alleine zu sein - oft um überhaupt gehen zu können, denn Angehörige die nicht loslassen können, können unbewusst auch das Loslassens des Sterbenden hinauszögern und somit das Leiden verlängern. Leider kann man nicht im Voraus sagen wer zu dieser Gruppe Sterbenden gehört, deshalb nimmt sich der Sterbende die Freiheit selber dann loszulassen wenn es für ihn auch wirklich stimmt. Oder weil sie ihre Lieben nicht belasten wollen.

Sterbende und tote Menschen sind nichts Ausserirdisches die einem etwas antun können, sie sind mein Kind, meine Eltern, Grosselten oder Freunde oder im Beruf ein Patienten. Sie sind es in Zeiten des aktiven Lebens, aber auch wenn sie im Sterben liegen und danach und werden es immer bleiben. Erachte sie auch als solches und du wirst deine Angst überwinden, denn die Liebe zur Person werden im Vordergrund stehen.

Du hast Fragen zum Tod selbst aufgeworfen z.B. Wann man die Totenflecken sehen wird? Gerne gehe ich etwas drauf ein, nicht um jemanden Angst zu machen, sondern vielmehr um sie zu nehmen - der Tod ist vorprogrammiert mit der Sekunde in der wir gezeugt wurden, nicht die Geburt, sondern die Zeugung ist massgebend.

Alle die ich kenne, auch aus den Trauerseminaren die ich gemacht habe, berichten darüber, dass sie es sich vorher viel schlimmer vorstellten und ausmalten wie es eigentlich war- Für sie war das Sterben und der Tod nicht das schlimmste, für sie war weit schlimmer die Zeit der Schmerzen oder in wenigen Fällen der Atemnot (ist nicht ein Hauptsymptom des Sterbens).

Wir müssen uns aus dem Tabuthema Tod wieder auf unsere Wurzeln zurück besinnen wo es völlig normal war jemand zu Hause sterben zu lassen, ihn zu begleiten vom Sterben bis zum Tode und dem Abschiednehmen und ihn dann bis zu einigen Tagen zu Hause aufzubahren. Hier soll auch die Angst vor Gerüchen angesprochen werden, die aufgrund der vielen Fernsehsendungen vielen Menschen Angst macht - wenn jemand frisch gestorben ist riecht er nicht. Gewisse Krankheiten lösen eine Ausdunstung aus, die kann sich im Sterbeprozess verstärken z.B. Leber- oder Nierenkranke. Oft wird auch danach gefragt – Tote seien kalt, es stimmt, die Körpertemperatur wird mit dem Eintreten des Todes nicht mehr reguliert, aber es dauert einige Zeit bis jemand wirklich „kalt“ ist, wobei dies auch von der Raumtemperatur abhängig ist. In der Zeit kann man in Ruhe Abschiednehmen.

Thema Totenflecken - Erstmal müsstest du deine Oma umkehren, um die Totenflecken zu sehen, denn sie kommen dort wo die Schwerkraft auf den Körper einwirkt, dass heisst es ist nicht anderes als ein Absacken des Blutes in Regionen des Körpers die "unten" sind - also wenn jemand bäuchlings stirbt (was hier nicht der Fall sein wird) dann ist der Bauch, Brustkorb und das Gesicht etc. betroffen. Im Normalfall werden es die Rückenpartie, die Hinterschenkel, die Waden, Fersen, Hinterkopf etc. sein sowie die aufliegende Fläche der Arme. Alles Körperregionen die man nicht sieht. Die Totenflecken sehen ähnlich aus wie frische und grössere Blutergüsse - nicht mehr und nicht weniger.

Das einzige was man einem Toten ansieht ist seine Blässe, wobei Menschen im Alter deiner Oma generell schon sehr blass sind - erst recht wenn sie so krank sind.

Es passiert auch nichts wenn man einem Verstorbenen einen letzten Abschiedkuss oder Streicheleinheiten schenkt. Es ist nicht ekelig, schleimig oder sonst was, sondern vielmehr ein Zeichen der tiefsten Liebe – ich entsinne mich heute immer wieder daran wie ich mein gute 1,5 Stunden zuvor verstorbenen Schwiegervater in mein Schoss bettete, ihn stundlang streichelte, lieb hatte und küsste. Meine Schwiegermutter sass daneben und sagte immer wieder sie könne das nicht, nach ca. 20 Minuten überwand sie sich so, dass wir alle gemeinsam mehr als 3 Stunden ihn streichelten, ich ihn so zu halten – es war schön so von ihm Abschied nehmen zu können, denn ich konnte so viele Menschen in meinem Leben beim Sterben begleiten, aber ausgerechnet meinen Schwiegereltern wurde es v, streichelte wehrt, nicht weil sie es nicht wollten, sondern weil ich als Vati starb selbst wegen meiner MS in der Klinik lag und als Mutti auf den Tag 4 Wochen später starb, stand ich in der Arztpraxis meines Docs um die geplante beiden Rückenops zu besprechen – da stürme Willy rein und sagte total aufgelöst dass Mutti soeben gestorben sei. Sie war aber nicht alleine 5 für sie liebe und wichtige Personen waren bei ihr, und niemand, aber gar niemand hatte damit gerechnet. Sie ist angebrochenem Herzen gestorben und wollten nur ihren Mann folgen – sie waren 60 Jahre verheiratet.

Ich kann nur abschliessend sagen mit jedem der in meinem Beisein verstorben ist und von denen ich mich verabschieden konnte etwas Wichtiges für meinen eigenen Lebensweg mitgenommen, jeder schenkte mir etwas spezielles in diesen Stunden und Minuten auf das ich nicht verzichten möchte – Liebe, Vertrauen, Dankbarkeit und vieles was gar nicht in Worte zu fassen ist – sie haben mich geprägt, dafür bin ich ihnen unendlich dankbar.

Vielleicht helfen dir diese Worte die Entscheidung zu treffen die für dich heute und aber auch in Jahren richtig sein wird.

Liebe Grüsse Liz vom Doppelpäggli
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Willy 54 J. LK Pancoast Tumor Adeno. ES 8/02 ED 11/02, Radio-Chemo, Op. 2/03 seither Teilgelähmt, O2-abhängig
Liz MS im Rolli. Gebärm.ca. 8/05
Mami 10.4.1934 - 7.9.2009
inoper. Hirntumor 10/07, Blasenkrebs 1/09
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