lungenkrebs
Mami
Du hast mich verlassen
für immer
Ich habe dich verloren
habe nicht gewusst
daß es einen solchen Schmerz gibt
Du bist gegangen, still und leise
Ich hoffe, in ewigem Frieden
Wenn ich nur wüsste,
ob du mich hören kannst, sehen kannst
ob es wirklich so etwas gibt wie das ewige Leben
Wenn ich nur wüsste
ob du mir verziehen hast,
ob ich dich wieder sehe
Wenn ich nur wüsste,
ob es dir gut geht
ob du nun Glück und Frieden gefunden hast
wie wohl wäre mir in meinem Herzen
An deinem Leben habe ich nicht oft teilgenommen
habe dich nicht sehr an meinem Leben teilhaben lassen
immer stand etwas dazwischen
wie eine unsichtbare Mauer
die ist jetzt gefallen
mit deinem Tod
Mami
du warst wie der See
den ich jahrelang vor meinem Hause hatte
ich bin nicht immer zu ihm gegangen
aber ich wusste, er war da
dies war beruhigend und schön
ich liebte den See
und habe ihm dennoch oft die kalte Schulter gezeigt
da ich mich vor seinen Tiefen
und seinen unergründlichen Geheimnissen fürchtete
nun bist du nicht mehr
der See ist noch immer
wie wünschte ich,
der See wäre fort
aber du wärest noch da!
In alter Frische
nicht gezeichnet von deinem Krebs
nicht verbittert über das Leben
nein, schöpferisch, lachend, begeistert
wie du einmal warst,
bevor man dich zerstört hat
du liebtest die Natur
liebtest die Blumen
kanntest alle ihre Namen
liebtest die Vögel, sangst mit ihnen
wie vermisse ich diese Zeit!
Wie lieblich sind die Erinnerungen
an meine Kindheit – an das Einschlaf- Ritual
als du uns vorgesungen hast
Oder von Ume oder Heidi erzähltest
Als Du uns Zwillinge in die Schule schicktest,
sagtest Du immer: ?leb wohl!
Wenn wir ins Ferienlager gingen, ?behüt Dich Gott!?
Deine Worte gaben mir Geborgenheit und verliehen mir Kraft
Danach kam alles anders
Anders als du wolltest
Und anders, als ich wollte
Oh Mami, du fehlst mir so!
Könnte ich doch noch einmal mit dir lachen,
mit Dir Deinen geliebten Engelbert hören,
mit Dir durch die Natur streifen,
mit dir ein gutes Glas Wein trinken
deine zarte Wange küssen
mich ausweinen auf deinem mütterlichen Schoss!
Es tut so weh, so unsagbar weh,
es gibt kein adäquates Wort, um meinen Schmerz zu definieren
Mami! Warum habe ich dich nicht erkannt?
Warum hat Gott mir nicht gesagt, daß du einmal gehen wirst
und daß es dann für alle vertanen Liebesdienste zu spät ist?
Selbst Maimona mag mir keinen Trost spenden
In meinem Kummer über deinen Verlust und in meiner Reue
Wie oft habe ich dich gekränkt, verletzt, missverstanden?
Voll von altem Groll, da ich mich ungeliebt fühlte, verstossen von dir
Als ich jung war, und dich brauchte
Soll ich nun auch mein Leben lang mit Schuldgefühlen leben
wie du es getan hast?
Mami, weshalb vermochten wir Kinder nicht,
dir diese Schuldgefühle zu nehmen,
warum konnten wir nicht darüber sprechen
ohne uns gegenseitig zu verletzen
warum konnten wir Dir nicht ein besseres Leben ermöglichen?
Ich darf Gott nicht mehr herausfordern
ich habe Angst, daß er mir meine Maimona nehmen könnte
mein einziger Sinn noch im Leben
Doch, es gibt Schlimmeres, als seine eigene Mutter zu verlieren,
wenn man sein eigenes Kind überlebt!
Oh behüte! Gott sei barmherzig!
Mami, ich vermisse dich so sehr
mein Schmerz mag sich vielleicht vergleichen lassen
mit dem ersten Liebeskummer
jenen unverbrauchten Gefühlen, mit jener Intensität, die nur ein ganz junger Mensch empfinden kann,
wenn man glaubt, die Welt zerbricht
weil man verlassen oder betrogen wurde
ich wurde von dir verlassen
aber für immer
ich habe mich um dich betrogen
da ich nicht ahnte
wie sehr ich dich liebte
und heute ist es zu spät für Bekenntnisse
oh Schmerz! Oh Schuld!
Ich hoffe und bete, daß meine kleine Maimona eine bessere Tochter wird, als ich es dir war
und daß ich das Vakuum schliessen kann, das du unausgefüllt liessest,
weil du nicht anders konntest
ich wünsche niemandem Mami, eine solch schmerzliche Erfahrung machen zu müssen
und ich wünsche niemandem dein Leben, deine Krankheit
aber ich muss akzeptieren, daß es so war und so ist
und ich muss zulassen, daß du für immer von mir gegangen bist
ein Prozess, der lange dauern wird
ich liebe dich heute ohne jede Reserve
mit aller Kraft meines Herzens
ich empfinde nur Dankbarkeit, Achtung und Wertschätzung
und ich bin stolz, daß Du meine Mutter warst und es im Herzen immer bleiben wirst.
In inniger Liebe
Leb wohl Mami! Behüt Dich Gott!
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