Diagnose Lungenkrebs
Ihr Lieben,
ich warne euch gleich vor, es folgt eine ellenlange Litanei. ;-)
Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.
Zunächst mal die gute Nachricht: ich bin von gestern bis heute bei meinem Freund gewesen, und meine ellenlange Rede über Egoismus und Bedürfnisse hat vielleicht doch nicht ganz ins Leere getroffen. Jedenfalls hat er sich gut betragen! ;-)
Ich hab bei unserer Diskussion versucht ihm klar zu machen, dass er momentan einfach nicht in der Position ist, Forderungen an mich zu stellen. Aber ich habe auch versucht ihm klarzumachen, dass er jetzt wichtig für mich ist. Das denkt er wahrscheinlich nicht, weil wir uns so wenig sehen. Vielleicht fragt er sich dadurch, was er mir grad bedeutet. Aber das wichtigste ist doch jetzt das WISSEN, er ist da, wenn ich ihn brauche. Und er hört mir zu, und sei es nur am Telefon. Und er ist nicht sauer auf mich, weil ich seinen Bedürfnissen jetzt nicht gerecht werden kann. Mehr ist doch gar nicht nötig.
Mal sehen, wie es weitergeht. Ich hoffe, dass auch für die nächste Zeit jetzt alles geklärt ist.
Ich würde ihn aber nie mit nach Hause nehmen. Meine Mutter würde nicht wollen, dass irgend jemand sie so sieht, und mein Freund könnte uns hier einfach nichts abnehmen. Das einzige, was ich tun kann ist, ihm immer wieder klar zu machen, dass es mir schon viel bedeutet, wenn er mir (am Telefon) zuhört und ich um seinen guten Willen weiß.
Wißt ihr, wir sind jetzt 6 ½ Jahre zusammen, aber man kann nicht gerade sagen, dass wir eine Beziehung mit Familienanschluss führen. Wir mögen die jeweils andere Familie, und auch unsere Eltern kennen sich und finden sich sympathisch. Aber das war es auch schon. Und ich finde das okay so. Deshalb kann ich ihn jetzt aber auch nicht so in die Geschehnisse einbeziehen, wie es manche von euch mit ihren Männern tun.
Vielleicht ist das etwas, was mir leichter fällt als ihm. Aber das Spekulieren ist müßig. Ich hoffe einfach, das beziehungstechnisch in nächster Zeit alles geklärt ist und ich auf ihn zählen kann. Punkt.
Und sonst? Tja, das Dronabinol war DER Schuß in den Ofen. Meine Mutter hat morgens um fünf die zweite Kapsel genommen und lief ab sechs Uhr wie aufgezogen rum, räumte den Kühlschrank aus, erzählte wirres Zeug, warf mit Flaschenverschlüssen und ging zwischendurch immer wieder ins Bett. Irgendwann im Laufe des Vormittags wurde sie dann ruhiger und hat die meiste Zeit geschlafen. Übel war ihr den ganzen Tag zwar nicht, aber Appetit hatte sie trotzdem auch nicht. Vielleicht ist diese Hyperaktivität nur die ersten paar Tage so schlimm, oder es ist eine Wechselwirkung mit ihrem Schmerzpflaster. Aber das werden wir nicht erfahren. Wir können es uns nicht leisten, ein paar Tage am Stück Mama völlig aufgedreht hier rumlaufen zu lassen. Es müsste wirklich permanent jemand wach sein und aufpassen. Denn wenn sie so durcheinander ist, stürzt sie womöglich noch, oder haut sich gleich ein ganze Ladung von Tabletten rein. Zudem hat sie selber gesagt, sie will nix mehr haben. Gegen Übelkeit nimmt sie die Zäpfchen und zusätzlich wieder Paspertin, fertig.
Ich könnte echt kotzen! Was habe ich (wir alle) für Hoffnungen da rein gesetzt. Ich kam mir auch noch vor wie der Esel des Tages, weil wir auf meine Initiative das Medikament besorgt haben. So eine Enttäuschung. Aber wißt ihr, irgendwie haben wir alle schon ein bißchen damit gerechnet, dass es nicht helfen würde. Wir haben (vor allem natürlich meine Mutter) in den letzten Monaten so viel gemacht, rausgesucht, probiert, gelesen ... und wo stehen wir heute? Es soll wohl einfach nicht sein. Es ist egal, was meine Mutter tut, es wird alles immer nur schlimmer. Sogar die kleinste Erleichterung bleibt ihr versagt. Ich verstehe das einfach nicht.
Es geht ihr auch so schon schlecht genug! Aber nein, dass sie sich Tag und Nacht um Kopf und Kragen spuckt reicht noch nicht! Ihre Nase blutet vom Sauerstoff, der da reinpustet und alles austrocknet. (Zum Glück braucht sie das Ding nicht mehr oft). Ihr ist schlecht von der Chemo, fast täglich übergibt sie sich. Aber auch das reicht nicht! Sie kriegt noch unerträgliche Nervenschmerzen, die es erforderlich machen, sie unter Dauermedikation zu stellen. Davon wird sie wieder dauer – müde. Und nun haben wir Hoffnung gehabt, dass wir ihr wenigstens die Übelkeit nehmen und den Appetit wiedergeben könnten, damit sie etwas kräftiger wird und ein bißchen Lebensqualität gewinnt – aber nein! Das darf natürlich nicht sein! Ich verstehe es einfach nicht.
Ich habe wirklich das Gefühl, das Schicksal pinkelt uns so richtig an Bein, und was wir auch tun, wir kriegen bloß eine lange Nase gedreht!
Meine Mutter isst weniger als ein Spatz. Mit Astronautennahrung haben wir es schon versucht. Mein Vater hat ein paar Proben mitgebracht, Getränke in verschiedenen Geschmacksrichtungen. Aber sie kann es nicht trinken, weil es süss ist. Alles Süße kann sie nicht essen, weil es für sie widerlich schmeckt: kein Obst, keine Säfte, kein Eis, nichts. Sie trinkt immer noch viel Milch und Buttermilch (ein Glück, da sind wenigstens noch Nährstoffe drin). Eine Tasse Hühnersuppe mit Nudeln hat sie heute mittag gegessen, heute abend konnte ich sie zu einem Fruchtgläschen (für Kinder) nötigen. Ich hatte ihr erst haferflockensuppe gemacht, aber die kriegte sie nicht runter. Hat sie dann mit weinerlicher Stimme abgelehnt. Habe dann gesagt „Mama, ich will dir doch nix böses, ich will ja nur, dass du wieder auf die Beine kommst.“ Sie sagte, ja Kind, ich weiß, und hat dann nach dem Gläschen verlangt. Hat sie auch aufgegessen.
Ich muss jetzt erstmal selber was essen. Außerdem wird der Beitrag gleich zu lang. Schreibe lieber später weiter.(Aber ich fürchte, dann fasse ich mich auch nicht kürzer :-) Da müsst ihr jetzt durch, ihr armen Hasen.)
Also bis später!
|