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Alt 17.10.2007, 14:47
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hope38 hope38 ist offline
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Standard AW: habe heute chemo-und strahlentherapie begonnen

Ihr Lieben!
So ganz konnte ich mich nicht entfernen aus dem Forum. Zu verflochten sind unsere Schicksale und mit einigen Menschen von hier habe ich eine wundervolle Verbindung.
Mir geht es zur Zeit eher so wie "Decke-über-den-Kopf-ziehen"- ich denke mal, auch die traurigen Zeiten wollen erlebt und durchlitten werden, um dann wieder eine Treppenstufe weiterzukommen- um bei Juttas treffendem Beispiel zu bleiben.
Deswegen möchte ich einfach einen Text einstellen, der mir heute morgen in den Sinn kam.

Alles Liebe, Leena


Versteckspiel

Meine Güte, was war das? Mein Herz klopft, ich atme schwer. Ich höre nichts, ich sehe nichts, ich weiß nur, ich bin ein Opfer geworden. Opfer eines Überfalls. Aus dem Hinterhalt. Wie unberechbar.

Niedergestreckt hat er mich mit so einer brutalen Gewalt, daß ich die Orientierung verloren habe. Den Halt. Ich höre von weit fort Stimmen, nehme kaum etwas wahr. Ich spüre nur das Brennen der Tränen auf meinen Wangen, fühle den lauten Schrei in mir. Ich versuche, aufzustehen, doch wo ist der Boden unter meinen Füßen? Wo ist der Halt meines Lebens?
Was hat er gemacht, der Räuber? Keinen Schmuck wollte er, keine Ringe, keine Ketten. Was hat er mir nur genommen? Warum nur das Wertvollste? Mein kostbarstes Gut, mein Lebensglück, den Hunger darauf, die Freude, ja, die Sorglosigkeit.
Er war da, schon lange. Ich ahnte nichts, lange nicht. Doch dann spürte ich ihn, hörte sein Zischen in mir, sein hämisches Lachen. Seine Stimme wurde lauter und durchdringender. Eigentlich war es doch keine Überraschung, als er sich offenbarte. Wieso nur falle ich dann so tief?
Ich bin traumatisiert. Er hat mich geschlagen, hat mich zerstört. Hat mich gewürgt, bis mir übel war, hat mich blind gemacht für die Zukunftsperspektiven.
Wankend gehe ich die nächsten Schritte, ein wenig nach vorn, ganz viel zurück. Er ist noch da. Er lebt von mir.
Irgendwann, ich werde durch Mühlen gedrückt, werde zermahlen, werde nicht mehr gefragt, wohl weil alle wissen, daß ich sowieso nicht antworten kann.
Er ist erkannt, der Räuber, der so hinterhältig und listig ist, und er wird entfernt. Weg! Raus!
Was bleibt von ihm, ist eine große Wunde. Schmerzen. Verzweiflung. Hoffnungslosigkeit. Angst.
All das hat er mir hinterlassen.
Mühsam muß ich mein Konstrukt erneuern. Mühsam, ja. Ich fange an, wieder Wärme zu fühlen, Hoffnung zu erahnen. Zuversicht zu erkennen.

Und doch: Es ist ein Weg, der so dunkel ist, so gewunden. Voller Ecken. Ich renne und renne und renne. Mein Atem geht schnell, mein Herz schlägt, als wolle es aus meinem Brustkorb herausspringen. Ich drücke mich in Ecken und Winkel, ich stehe da, versuche, mich ruhig zu verhalten in der Hoffnung, daß er mich nicht findet. Ich fühle diese Angst wie eine eiserne Kette um mich herum. Kann kaum einen Schritt tun, aber ich weiß, ich muß, ich muß, sonst findet er mich, sonst packt er mich wieder. Und dann?
`Herz, sei still, leise, leise. Er darf uns nicht entdecken. Er wird uns töten. Er wird uns zerstören. Still, bitte, bitte.`
Wird das Flehen helfen? Wird diese Kraftlosigkeit mir trotz allem die Möglichkeit geben, weiter voranzugehen? Werden diese Tränen mir den Blick wieder frei geben?
Was nur hat er gemacht? Wozu war er fähig?
Mein altes Leben ist verloren. Mein neues ist so wackelig. Ich finde mich noch nicht zurecht. Werde ich es jemals?
Ich bin auch ein wenig ein Egoist. Ich sehe meine Kinder, sehe meine Familie, atme ihren Duft ein, den Duft des Lebens. Ich sehe meine Freunde, sehe all das, was ich liebe, woran ich hänge- und doch weiß ich, das alles würde ihm zum Opfer fallen.
Ich will es nicht hergeben. Noch nicht!

Schon als Kind habe ich Versteckspiele gehaßt....

Geändert von hope38 (20.10.2007 um 21:52 Uhr) Grund: text überarbeitet;)
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