AW: bitte brauche hilfe - weiß nimma weiter
Liebe Trinnety.
Das ist echt blanker Horror!
Ich habe deinen Thread nochmal von vorne bis jetzt durchgelesen und ich bin auf einmal wieder mitten drin im Erlebnis mit meinem Papa...
Ich versuche jetzt mal, Parallelen zu ziehen - wie wir versucht haben, unserem Papi zu helfen:
Dein Papa hat große Schmerzen....
Der Hausarzt hat meinen Papa nach einer Schmerzskala eingestellt. Er fragte ihn, wie stark der Schmerz auf einer Skala von 1 – 10 wäre. Papa sagte „6“. Der Doc sagte, das sei vieeel zu hoch, niemand müsse mehr Schmerz aushalten. Der Doc wollte ihn auf „3“ bringen. Er legte die Dosis für das Schmerzspray (Nasenspray) fest. Dieser Vorgang wurde immer mal wiederholt, damit der Doc sehen konnte, ob die Dosis noch ausreicht oder erhöht werden musste...
Die passenden Schmerzpflaster nahm Papa zusätzlich, aber schon bevor er mit dem Spray anfing.
Dein Papa kann nicht mehr schlafen und nicht sitzen, das Laufen geht nur mit Schmerzen...
Mein Papa hatte Metastasen an der Wirbelsäule und Schmerzen in den Hüften. Ihm fiel dementsprechend das Sitzen, Liegen und Gehen auch sehr schwer.
Er saß immer auf der Couch – also mitten im Geschehen -, las, sah TV oder wir unterhielten uns.
Wir haben ihm ein TEMPUR-Kissen gekauft (Reformhaus, recht teuer), damit er seinen schmerzvollen Rücken und das Nierenstoma ohne Reibereien anlehnen konnte, dazu eine „flauschige“ Decke zum Draufsitzen, damit er sich nicht wund sitzt (da sind keine Nähte etc. drauf, sieht aus wie ein Plüschtier). Zum Laufen nahm er manchmal einen Geh-Stock, um den Rücken und die Hüfte zu entlasten.
Dein Papa hat sich verändert... ist grantig... Du hast das Gefühl, dass du alles falsch machst...
Mein Papa hatte diese Zeit auch. Und Mama und er haben sich immer mal angefaucht. Papa hat auf vieles aggressiv reagiert (nur verbal), was Mama versucht hat zu tun. Sie hat ihm viel abgenommen, vielleicht zu viel. Er hat bestimmt das Gefühl gehabt, zu nix mehr nütze zu sein, er hat sich gefragt, warum er überhaupt noch aufsteht jeden morgen, wenn er nix mehr machen darf.
Ich habe viel mit meiner Mama gesprochen, damit sie ihn vielleicht verstehen kann. Er hatte die Hölle in sich – genau wie dein Papa. Und wenn dann jemand kommt, der ihm alles abnimmt, auch die Entscheidungen über Dinge, die er sonst geregelt hat – wie soll sich der Mensch da fühlen???
Ich habe gelesen, dass es im Verlauf einer Krebserkrankung 5 Phasen gibt, die ein Kranker durchleben kann – aber nicht zwangsläufig tut.
Ich habe meinen Papa versucht dort einzuordnen, um mir sein Verhalten so zu erklären (google mal, wenns interessiert).
Für meine Erklärung hat sein aggressives Verhalten einfach dazugehört. OK, ich musste es auch nicht 24 Stunden am Tag ausbaden (wie Mama), aber ich habe es akzeptiert, dass er manchmal in meiner Anwesenheit auch so reagierte.
Ich fragte mich: Wie würde ich reagieren,
- wenn dieser verdammte Krebs in mir wüten würde?
- wenn ich erleben müsste, wie mein Leben immer weniger wird?
- wie meine Familie sich wegen mir aufreibt und sich um mich sorgt?
- wie ich anderen immer mehr „zur Last“ werde?
- wenn ich nichts mehr so unternehmen kann wie früher? Keine Reisen mehr, Freunde besuchen...
Ist es dann nicht „normal“, dass man diesen ZORN irgendwie rauslassen muss?
Papa hat immer alles mit sich selbst ausgemacht, Probleme und Sorgen selbst gelöst, die Familie wollte er nie belasten – auch in dieser schweren Phase seines Lebens nicht.
Aber ich denke, irgendwann war es auch ihm zu viel und er musste raus damit und er hat sich dagegen gesträubt, dass er nicht mehr konnte, wie er wollte.
Er hat nie geweint, hat seine Angst, seine Verzweiflung und seine Gedanken nie wirklich gezeigt. Im Gegenteil... er hat UNS noch aufgemuntert, wenn wir traurig waren.
Sein Verhalten auch ihm oft leid getan und er hat sich bei Mama entschuldigt.
Seine aggressive Phase ging vorüber und er war wieder „der Alte“. Ein ganz ruhiger Mensch, aber sehr oft nachdenklich und zu ruhig... kraftlos.
Ab dieser Phase hat er sich in sein Schicksal gegeben. Er wusste von Anfang seiner Krankheit an, wie es um ihn stand. Er wusste, wie ernst sein Zustand war.
Natürlich ist es sehr, sehr schwer und tut unendlich weh, einen geliebten Menschen so leiden zu sehen und hilflos dazustehen, helfen zu wollen, aber nicht zu wissen wie. Es tut auch weh, die Aggression auszuhalten, zu erleben.
Viele sagen, dass muss man sich nicht bieten lassen, ein Angehöriger hat es auch sehr schwer.
Ja, stimmt. Aber meine Meinung: versuch es auszuhalten, so lange es geht.
Er macht es nicht mit Absicht. Er muss irgendwie verarbeiten, dass sein Leben nicht mehr das Alte ist, dass er eingeschränkt ist in vielen Dingen, dass er Hilfe braucht.
Und dieses „Hilfe brauchen“ geben viele nicht zu. Ich glaube, damit verlieren sie einen Teil – vielleicht den letzten Rest – ihres Stolzes.
Verstehen kann ichs.
Ich gebe dir noch einen kleinen Hinweis:
Wie sieht es aus mit einem Pflegedienst?
Hast du Pflegestufe beantragt?
Die „Anschlussstelle“ von Stoma in den Körper muss öfter mal frisch verbunden werden oder?
Ist ein Hospiz ein Thema für deinen Papa? (für „später“)
Das du auch mal an dich denken sollst, spar ich mir jetzt. Ich habe es schonmal geschrieben.
Man kann das an-sich-Denken nicht planen und einfach so durchziehen... die Gedanken sind nicht so leicht lahmzulegen... die Krankheit ist spontan...
Ich wünsche dir sehr viel Kraft, Ausdauer und eine Menge Geduld für die nächste Zeit. Verliere nie die Liebe zu ihm, lass dich nicht zu sehr angreifen von seinen Reaktionen, versuche ihn zu stärken, wo du nur kannst und sei weiter für ihn da – das ist das Wichtigste in dieser schweren Zeit.
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Alles Liebe.
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Papa, für immer in meinem Herzen - 31.12.2007
Geändert von Annika0211 (12.06.2008 um 10:22 Uhr)
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