Liebe Anja,
bei meinem letzten Beitrag an Dich bin ich aber irgendwie ein bißchen abgedriftet

Ich weiß sehr gut, was Du meinst. Meine Mutter und ich, wir waren schon immer wie Feuer und Wasser. Entweder eine so wundervolle Ergänzung, dass nicht mal ein Blatt sich hätte dazwischen drängen können, oder aber so sehr gegenseitig vernichtend dass wir uns lieber aus dem Weg gegangen sind. Ein Mittelding gab es bei uns nie und dem Temperament nach müssten wie eigentlich die rassigsten Italienerinnen sein. So richtig mit Brüllen und Teller werfen (letzteres verkneifen wir uns aber Gott sei Dank

aber vermutlich einfach nur weil s auf die Dauer ziemlich teuer würde. Aber eben auch mit all dem Engagement und der Inbrunst die das alles mit sich bringt.
Im letzten Jahr zu Ostern sagte meine Mutter zu mir es sei ihr zuviel dass ich jeden Sonntag vorbei käme. Sie hätte jetzt eine neue Familie (sie hatte im Dez. geheiratet) und ich würde zuviel von ihr verlangen. Das war - so meine ich - im April.
Im Mai hatte ich dann meine Gebärmutterhals OP, im Juni bekam meine Mutter die Diagnose. Seitdem sind wir unzertrennlich. Und das mit ganz viel Lerneffekten für beide Seiten. Mit vielen offenen Gesprächen, Tränen, Angst, Weinen, Trösten, Schimpfen, Schweigen. Wenn ich in dem ganzen Jahr zusammengenommen an zehn Tagen nicht da war dürfte die Rechnung etwa stimmen. Wenn ich ankündige dass ich vermutlich nur kurz oder gar nicht vorbei komme weil ich etwas vorhabe, fragt sie meist nach ob ich denn kurz auf einen Kaffee???
So gut mir das tut dass sie mich offensichtlich gerne in ihrer Nähe hat, so übt es manchmal natürlich auch einen gewissen Druck aus - und viel Verantwortungsempfinden.
Allein die Zeit die wir bis jetzt hatten würde ich um nicht s in der Welt hergeben wollen. Wir haben viel gelernt in der Zeit, vor allem auch sehr viel schätzen gelernt.
Ich finde es furchtbar makaber, zu wissen dass jemand an ihrem Ast sägt. Aber auf der anderen Seite hatten wir eine Chance -und haben sie genutzt- die viele andere Menschen, die gehen müssen nicht hatten. Wir haben uns alles gesagt. Wirklcih alles. Unsere Gefühle füreinander, worauf wir stolz sind, was wir möchten, wovor wir Angst haben. Es gibt keinen Tag, an dem wir uns im Groll trennen. Aber weil wir alles klären, nciht etwa weil wir alles herunter schlucken. Es gibt einfach nicht das Gefühl das irgendetwas ungesagt ist. Und das tut gut. Uns beiden. Für uns war das sehr, sehr wichtig. Und ich bin froh, dass wir diese Zeit, so für uns und so unsagbar intim, nutzen dürfen.