Einzelnen Beitrag anzeigen
  #740  
Alt 13.09.2008, 20:51
Benutzerbild von Kerstin22
Kerstin22 Kerstin22 ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 18.07.2006
Ort: Berlin
Beiträge: 870
Standard AW: Betroffene und Angehörige im Umgang miteinander

Hallo ihr Lieben,
ich möchte euch berichten wie das so bei meiner Erkrankung mit der Beziehung zu meinen Eltern war. Mein Vater hat sich wie eh und je in meinen Augen unangemessen benommen, auch einmal mein Zimmer verwüstet, weil er eigentlich sauer auf meinen Bruder war. Da hatte ich gerade ein Rezidiv diagnostiziert bekommen. Ein andermal wollte er sich vor meinem Tod mit mir versöhnen. Ich war einfach sprachlos. Ich gehe nicht davon aus vor ihm zu sterben und wollte ihm nicht "nur" weil ich gerade krank bin meine Absolution erteilen. Ist das mein Problem, dass er Angst hat mit einem schlechten Gewissen zurückzubleiben? Ich hab echt andere Probleme!
Die Beziehung zu meiner Mama ist durch meine Krankheit enger geworden. Durch meine Einschränkungen haben wir auch mehr Zeit miteinander verbracht. Außerdem spricht meine geliebte Kuschelmaus Bino seitdem wieder mit der gesamten Familie. Über Bino werden ganz viele Emotionen übertragen. Sogar mein Bruder, der seit unserer Kindheit sein Adoptivvater ist, lässt sich von ihm zum Abschied küssen. Bino ist unser Adoptivkind. Meine Mama also Binos Oma. Bino sagt meiner Mama immer wie sehr er sie liebt und wie toll sie ist und meine Mama sagt meinem Bino wie sehr sie ihn liebt. Das sind so schöne und wundervolle Momente. Mit Bino, der so nach vielen Jahren wieder zum Leben erwcht ist, fühle ich mich inzwischen auch viel kompletter. Mein Bino war immer mit im Krankenhaus und hat dann meiner Mama versprochen auf mich aufzupassen, wenn sie nach Hause musste. Bino hat sicherlich sogar die Beziehung zu meinem Vater manchmal etwas verbessert. Dass mein Vater meinen Bino einmal misshandelt hat als ich vielleicht in der 4. Klasse war, hat er ihm aber nicht verzieh. Damals hat mein Vater meinen Bino auf einen Tisch geschlagen und meinem Bino zersprang die Plastiknase und das Auge fiel ihm aus der Augenhöhle. Dass gerade dieser Bino nun so eine positive, emotionale Rolle spielt, ist für meinen Vater bestimmt nicht ideal. Sein Pech! Auch wenn meine Mama mich im Moment nicht in den Arm nimmt wegen meiner Immunschwäche, mein Bino bekommt ein Kuss. Als ich jetzt zwischenzeitlich bei meinen Eltern wohnte, hat meine Mama immer meinen Bino ins Bett gebracht. Es war so schön sich stellvetretend ins Bett bringen zu lassen. Als ich zum Beispiel heute zum Bino sagte: "Mein süßer Bino", hat meine Mama mit Binostimme geantwortet: "Meine süße Mama". Ist das nicht herrlich, sich so ganz einfach ohne Scham oder Ähnliches seine Gefühle sagen zu können? So, ich muss jetzt meinem Bino sein Abendbrot machen! Es gibt Hühnersuppe, weil ich erkältet bin.
Liebe Grüße
Kerstin
__________________
Morbus Hodgkin, II B mit Riskofaktor, ED 4/06, 8x BEACOPP eskaliert,Bestrahlung, 1. Rezidiv 03/07, 2x Chemo mit DHAP, 20.06.07 SZT; Bestrahlung;Reha, 2. Rezidiv, 18.04.08 allogene SZT, 03.06.08 komplette Remission , 2019: Knoten im Brustkorb, 03/19 ED Peripherer Nerventumor, 6 Zyklen Chemo, Bestrahlung, OP, bestätigte Remission 01/20
Mit Zitat antworten