Thema: Myriam
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Alt 05.07.2009, 00:38
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HelmutL HelmutL ist offline
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Standard AW: Myriam

Guten Abend,

seit fast einer Stunde läuft meine Lieblings-CD. Eine Sängerin darauf hat es mir besonders angetan: Kim Sanders. Ihre glockenhelle, starke, ausdrucksvolle Stimme und wie sie in ihrer Musik lebt, das fasziniert mich immer wieder. Dazu eine perfekte Band, der man anhört, dass ihnen ihre Musik auch Spass macht.

Ich weiss, Musik ist Geschmacksache. Doch ein Gedanke drängt sich mir zum wiederholte Male auf: wie ist es möglich, dass der Mensch auf der einen Seite so grossartige, wunderschöne Dinge tun und auf der anderen Seite so abgrundtief böse sein kann? Das eine ist Bedingung für das andere. Ein Tier kann nicht böse sein, es hat seine Verhaltensmuster. Davon kann es nicht ab. Eine Tiermutter versorgt ihren Nachwuchs, verteidigt ihn gegen Feinde bis zum letzten. Das ist jedoch nichts heldenhaftes, sondern Teil dieses Musters. Der Menschen kann das auch, jedoch auch seine eigenen Kinder misshandeln, ja sogar aus purer Lust töten. Es ist manchmal schrecklich, ein Mensch zu sein.


Heute war ein blöder Tag. Am Morgen die Wohnung aufgeräumt und sauber gemacht. Zum Mittag ein kleines Essen für Schwiegermutter und mich gekocht. Am Nachmittag nur am Tisch gesessen, gelesen, Sudoku. Nichts macht mir richtig Spass. Vom Nachbar herüber schallt Kinderlachen, Wortfetzen und Lachen der Erwachsenen. Meine Tochter geht heut Abend mit ihrem Freund auf eine Hochzeitsfeier. OK, Papa ist zu Hause, Oma ist ja dann versorgt.

Irgendwann beginnt Wut in mir hoch zu kochen. Ich gönne meinen Nachbarn ihren schönen Nachmittag mit der Familie, ich gönne meiner Tochter die Feier am Abend von Herzen. Und ich? Hei, bin ich der, der ja sowieso zu Hause bleibt? Man kann sich darauf verlassen? Er hat ja sonst nix zu tun?

Nein. Mir rinnen die Tage durch die Finger, bewegungslos. Ich will noch was vom Leben. Ich will noch spontan entscheiden dürfen. Ich will mein Leben selbst bestimmen, Prioritäten setzen. Nämlich mich! Nicht immer, doch nicht nur ab und zu wenn es anderen in den Kram passt.

Also ab unter die Dusche, stadtfein machen. Wohin weiss ich noch nicht. Ich möchte in ein Restaurant, gemütlich was essen. Als einziges nehm ich mein Handy mit, um erreichbar zu sein. Das Steakhaus in S., schade, alle Tische im Freien sind besetzt. OK, drinnen finde ich einen Tisch direkt neben der Pizabäckerei, dem Grillkamin. Der Raum ist angenehm temperiert. Ich kann den Köchen zuschauen, der Bedienung. Das butterzarte 300gr-Steak liegt vor mir, nicht lange. Es war schön, ich fühl mich wohl.

Zum allererstenmal bin ich alleine weg. Spaziere ich alleine durch die Gassen. Schaue ich den Menschen alleine zu, wie sie gemütlich sitzen, reden, lachen, essen, drinken, spazieren, manche auch nur Hand-in-Hand schweigen.

Früher war das anders. Da war ein Treffpunkt abgesprochen, wo ich auf sie warte, bis ihre Einkäufe erledigt sind. Ich bin die gleichen Wege gelaufen, hab die gleichen Leute gesehen. Heute gibt es diesen Treffpunkt nicht mehr, niemals wieder kommt sie mir lachend entgegen, vollbepackt. Erstaunlicherweise bin ich nicht mal so traurig bei diesen Gedanken. Ich weiss ja, dass niemals etwas wieder so sein wird wie vorher. Zu mir selbst sage ich: "Helmut, gewöhnt dich daran! Das ist dein neues Leben!" Oder ist der Gedanke garnicht von mir? Trotz allem Neuem klingt er so versöhnlich und beruhigend.

Langsam und zögernd stehe ich auf.


Alles Liebe

Helmut
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