AW: Stammtisch
Hallo ihr Lieben,
ich habe mich schon sehr, sehr lange nicht mehr gemeldet und jetzt habe ich das große Bedürfnis hier wieder zu schreiben und ich habe auch ganz viel "nachlesen" müssen.
Ich hoffe, ich bin immer noch willkommen.
Ich habe von Mai bis Anfang Juli an einer Weiterbildungsmaßname vom Arbeitsamt teilnehmen müssen. Nach 35 Jahren wieder lernen und täglich 8 Stunden so etwas wie arbeiten. Ich hatte eine riesige Angst davor und es war auch eine große Umstellung, da ich in den letzten 30 Jahren nur immer auf 400 Euro-Basis gearbeitet habe. Es ist mir auch sehr schwer gefallen, da ich ja meinen jetzigen 400 Eurojob auch weiter machen musste. Ich habe es geschafft und weil ich mich und meine Tochter, die mir in dieser Zeit sehr geholfen hat, belohnen wollte, habe ich ganz kurzfristig eine Woche Urlaub in die Türkei gebucht. Ich hatte mich wirklich darauf gefreut und meine Tochter noch viel mehr. Am 8. Juli war mein Lehrgang zu Ende und am 10. Juli wollten wir fliegen.
Seit dem 6. Juli ging es mir schon nicht so gut. Ich konnte auch keinem so richtig beschreiben, was es war, aber irgendwie ging es mir schlecht. In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag, hatte ich die ganze Nacht Durchfall, so dass ich am Donnerstag den Flug schon verschieben wollte. Ich musste am Donnerstagnachmittag auch noch arbeiten. Meine gesamte Familie hat mir dann gut zugeredet und mich davon überzeugt doch zu fliegen, da es mir tagsüber auch schon besser ging. Es ging mir zwar gesundheitlich besser, aber seelisch war ich total am Ende. Ich konnte einfach nicht begreifen, warum ich so traurig und verzweifelt war. Ich hatte doch alles geschafft, klar hätte ich mir den Urlaub eigentlich nicht leisten können, aber ich hatte ihn doch so verdient und als meine Familie uns dann noch das Taschengeld gesponsert hat, da wurde für mich alles noch schlimmer. Ich habe mich so geschämt, das so viele Menschen, so lieb zu mir waren, sich solche Sorgen um mich machten und ich eigentlich nur im Bett liegen und heulen wollte.
Es tat alles so weh, wie eigentlich noch nie. Ich war so niedergeschlagen und traurig, wie noch nie nach dem Tod meines Mannes. Ich habe immer gedacht, es wird leichter und besser mit der Zeit, aber das stimmt gar nicht. Ich habe dann hier gelesen, das es bei so vielen von euch auch nach langer Zeit immer wieder schlimm ist. Hört das nie auf? Kann man lernen damit umzugehen? Muss ich immer wieder mit solchen Tagen rechnen? Ich habe in diesen Tagen oft gedacht, warum hat er dich nicht mitgenommen?
Am Donnerstagnachmittag bin ich dann noch zu unserem Hausarzt gegangen und habe mit ihm geredet. Er sagte, eigentlich war es ja vorauszusehen, dass so etwas noch kommt, denn ich wäre am Anfang so stark gewesen und meist schafft man es nicht auf Dauer. Er gab mir eine Spritze und ich bin ihm dafür dankbar, er kennt mich und weiß, dass so etwas eine Ausnahme ist. Ich werde bestimmt nicht regelmäßig irgendwelche Mittel nehmen, aber wenn es gar nicht mehr geht, dann bin ich auch bereit dazu, mir mal helfen zu lassen.
Ich bin dann doch mit meiner Tochter am Freitag geflogen und wir beide haben eine wunderschöne Woche in der Türkei verbracht. Ich habe mich wirklich gut erholt und es geht mir besser. Ich hoffe, dass es jetzt wenigstens eine Weile anhält. Es wird auch bestimmt alles besser, wenn ich endlich einen Halbtagsjob gefunden habe, denn dann brauchte ich mir finanziell auch keine Sorgen zu machen.
So jetzt habe ich mir mal wieder alles von der Seele geschrieben und hoffe, dass mich einige vielleicht verstehen können. Man kann so etwas nur verstehen, wenn man es selbst erlebt hat und es tut einfach gut, wenn man, trotz einer lieben Familie, hier alles so runterschreiben kann.
Ich wüßte wirklich nicht, wie es mir gehen würde, wenn ich nicht so eine tolle Familie hätte. Meine Kinder, Eltern, Bruder und auch Schwägerinnen sind immer alle für mich da und ich darf auch überall gerne hinkommen und darf auch dort traurig sein und weinen. Sie nehmen sich immer Zeit für mich, wenn ich es brauche und helfen mir wirklich.
Manchmal denke ich, ich bin undankbar und schäme mich, weil ich trotzdem nicht glücklich bin und ich bin auch mit meinem Leben nicht zufrieden. Ich lebe zwar, aber ich liebe nicht. Ich weiß, ich sollte eigentlich dankbar sein und die schöne Zeit, die ich mit meinem Mann hatte, (bin ich auch)aber es war einfach zu wenig. Lernt man irgendwann dieses neue Leben anzunehmen und kann dann damit umgehen?
Eine etwas ratlose Illy
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