AW: Auch meine Mama hat es ni geschafft
			 
			 
			
		
		
		
			
			Ich habe Dir mal etwas von meiner Homepage herkopiert - es ist die Geschichte eines Mannes (und mir). Dort siehst Du vielleicht was ich meine. Sterben ist und "geht" oft so anders als man denkt. 
	Zitat: 
	
	
		
			
				Gedankenschleifen ... 
 
 
Es begann damit, dass sie tief in 
meine Gedanken in die Liebe 
abtauchten, 
in meine Sehnsucht zu dem Menschen, 
den ich so sehr liebe und 
der mir sehr fehlt ... 
in die Zukunft und den Augenblick - 
gefolgt von 
Bildern aus der Vergangenheit ... 
an all meine lieben Freunde, 
die im Laufe unserer Freundschaft 
 das Rennen gegen den Krebs nicht 
gewonnen haben ... 
und ganz plötzlich waren 
in mir die Bilder 
eines Mannes, 
den ich in meiner Zeit im Hospiz 
ca 2 Monate 
pflegen und begleiten durfte. 
 
Ich möchte die Erinnerung an 
ihn gerne hier aufschreiben - 
denn sie ist so 
lebendig. 
 
Dieser Mann lag in dem 
ersten Zimmer, 
dass ich an meinem ersten Tag 
dort im Hospiz als erstes 
betreten mußte/durfte. 
Ich weiß dass ich 
einen kleinen Kloß im Hals hatte, 
weil ich nicht wußte, was mich 
hinter dieser Tür genau erwarten 
würde - 
ich sollte einen Kaffee 
dort hineinbringen. 
 
Mit dem Ellbogen des rechten 
 Armes drückte ich die Klinke 
vorsichtig runter, weil ich 
die Hände voll hatte und nichts 
verschütten wollte. 
 
Die Tür war dann einen Spalt 
geöffnet und ich mußte nochmal 
durchatmen ... 
als eine geschwächte Stimme 
 
leise rief: 
 " Nun kommen Sie mal rein, 
sonst ist der Kaffee ja bald 
kalt!" 
 
Ich ging rein und vor mir 
in seinem Bett saß ein Mann, 
knapp 80, 
mit großen strahlenden 
blauen Kulleraugen 
und einem ganz breiten 
 und 
lieben Lächeln - 
sein Gesicht vom Tod bereits 
gezeichnet. 
Es war ganz eingefallen. 
 
Ich stellte ihm den Kaffee hin 
und er nahm seine Bettdecke etwas 
zur Seite, 
 damit ich mich zu ihm auf die 
Bettkante setzen konnte, 
was ich dann auch tat. 
 Wir kannten uns gar nicht. 
 
Er nahm meine beiden Hände 
 in seine und sagte: 
"Mädchen - 
bist Du nicht viel zu jung, 
um Dich mit dem Tod zu 
beschäftigen?" 
 
Wir schauten uns in die Augen 
und uns beiden liefen ganz still die 
 Tränen, 
während wir versuchten zu lächeln. 
"Nein - der kann ja auch mich 
jederzeit treffen. 
 Das ist doch nicht abhängig vom Alter." 
Dann habe ich mich erstmal 
vorgestellt bei ihm. 
 
Er hat so gerne gebadet - 
immer freitags 
... mit Musik und vielen 
vielen Kerzen um sich herum 
... und manchmal bestellte er sich eine 
 Cocktail-Tomate mit einer 
 Scheibe Salatgurke dazu. 
  
Das wurde immer 
sehr schön zurecht gemacht - 
ein Schlitz in die kleine Tomate,  
die Gurkenscheibe halbiert 
und mit den Schnittkanten nach 
unten in die Tomate gesteckt 
(fast wie 2 Flügel) 
- in die Mitte kam ein kleines 
 "Blümchen" Petersilie. 
 Das ganze wurde auf eine 
Untertasse - 
 mit einem kleinen 
Serviettchen versehen - 
gelegt und 
serviert. 
 
Manchmal schaffte er nicht 
mal dieses kleine Häppchen ... 
 
Von Woche zu Woche fiel ihm 
das Baden schwerer - 
er war ca 1,90 groß 
und eines freitags schaffte er 
vom Bad den Weg nicht mehr 
zu seinem Zimmer zurück - 
er war so schwach, 
aber das Baden war für ihn zu 
schön ... 
und wir wußten ja nie, 
ob er es noch erleben würde, 
wenn wir es 
verschieben würden auf 
den nächsten Tag ? 
 
Ich schob ihm seinen Rollator 
unter den Po und ließ ihn 
sich setzen. 
Er lehnte sich - 
auf dem Rollator sitzend - 
mit seinem Rücken an mich. 
Die Füße schaffte er noch etwas 
in die Höhe zu halten und 
 so schob 
ich ihn ganz langsam zurück ins 
 Zimmer. 
 
Ich sollte oft auf seiner 
Bettkante sitzen - und lange. 
Wir brauchten uns eigentlich 
nichts zu sagen, 
wir verstanden uns von Anfang an 
auch ohne 
Worte. 
 
An einem Nachmittag zeigte er 
mir Fotos von seinem 
wunderschönen 
großen Holzhaus mit Veranda, 
einem riesengroßen kunterbunt 
blühenden Garten rundherum, 
 mit Vogelhäuschen - 
auch an den Bäumen, 
einem Teich ... 
 und er war soooo stolz - 
das alles hatte er selbst 
gebaut für seine Frau und sich, 
mit seinen eigenen Händen 
das alles über Jahre 
erschaffen. 
 
Jeden Strauch, jeden Baum, 
jede Blume 
 selbst gepflanzt - wie ein Paradies. 
Nur hatte er eine Dusche 
eingebaut zuhause - 
aber hätte er 
früher gewußt, wie schön doch 
Baden ist ... 
 sagte er. 
 
Eines Nachmittags, 
als ich Dienst hatte, 
lag er tapfer in seinem 
Bett mit einem Aktenordner auf dem 
Schoß, 
 den Telefonhörer in der Hand. 
Er hatte noch alle Versicherungen 
 geregelt und noch 
 sein Auto 
verkauft, 
sagte er - seine Frau würde 
man eh 
 "bescheissen", 
weil sie sich mit Autos 
doch gar nicht 
auskennt. 
 
Nun müsse er nur noch einen 
Gärtner finden 
(es war Anfang April), 
 der den Garten für seine 
Frau macht, 
weil sie das alleine nicht 
schaffen könnte - 
sie sei ja auch so alt 
wie er. 
Draußen lag Schnee 
und ich holte ihm etwas rein 
 und wir bauten einen 
klitzkleinen Schneemann ... 
 der Schnee taute in 
seinen Händen 
und die Tränen liefen wieder. 
 
"Ist wohl mein letzter Schnee", 
 sagte er 
"aber er fühlt sich schön an". 
 
Er wollte die Vorhänge und 
die Gardine immer ganz zur 
Seite haben, 
damit ihm die Sonne ins 
Gesicht scheinen kann, 
 wenn sie denn 
endlich mal scheinen würde ... 
 und immer wieder 
 sagte er: 
 
"Wenn der liebe Gott 
mich doch nur noch bis 
 Mai leben 
läßt - 
nur ein Mal möchte ich 
noch erleben dürfen 
wie der Frühling 
erwacht 
und alles grünt ... 
nur ein einziges Mal noch. 
Ob er mich nun 
ausgerechnet einen Monat 
 füher oder später holt, 
kann dem ja wohl 
egal sein - 
weil er kriegt mich ja 
doch". 
 
Wir sprachen viel über die 
Angst vor dem Sterben und 
wie es 
wohl sein würde, wie es sich 
 wohl anfühlt ... 
Ob es weh tut? 
Uns was uns wohl alle 
erwartet danach. 
Wir trösteten uns beide 
mit dem Gedanken, 
dass da ja nun jeder 
durch müßte und wir hier 
in Deutschland ja das Glück 
haben dass es 
Möglichkeiten zur 
Schmerztherapie gibt - 
im Gegensatz zu manchen 
anderen Ländern, 
wo es nicht mal einen 
erreichbaren Arzt gäbe. 
Und er war so dankbar, 
dass es Menschen gibt, 
die ihn nicht alleine lassen ... 
jetzt. 
 
Eines Tages kam ich zur Arbeit, 
ich glaube es war der 
18. April und 
ich ging zu ihm um ihn zu fragen 
ob ich ihm beim Waschen 
helfen solle. 
Bis dahin war er immer noch 
die 3-4 Meter bis zum 
Waschbecken am 
Rollator gegangen - 
an diesem Tag konnte er 
nicht mehr aufstehen, 
er fühlte sich zu 
schwach dazu. 
 
Aber er strahlte mich an 
und sagte: 
"Angela, heute nacht dachte ich, 
es ist soweit und sie holen mich." 
"Und?" fragte ich. 
"Na, dann hätte ich Sie ja 
heute nicht mehr sehen können!" 
Er war so ein beeindruckender Mensch 
... und so entwaffnend ehrlich 
und humorvoll bis 
zuletzt. 
 
Ich fragte: 
"War es denn schlimm?" 
"Nee" - mehr sagte er nicht 
 und zuckte dabei mit den Schultern. 
"Naja" sagte ich - 
"vielleicht haben Sie noch etwas 
vergessen, 
irgendetwas was Sie noch regeln 
möchten. 
 Oder müssen Sie vielleicht 
noch jemanden anrufen, 
dem Sie noch etwas sagen möchten. 
Oder vielleicht 
möchten Sie sich bei Ihrer Frau 
 noch bedanken für 
all die schönen 
gemeinsamen Jahre, ihr nochmal 
sagen wie sehr Sie sie 
lieben?" 
 
Er fragte mich: 
"Versprechen Sie mir was?" 
"Wenn ich es dann auch halten kann", 
 sagte ich. 
"Wenn ich es bis Mai nicht mehr 
schaffe - 
versprechen Sie mir, 
dass Sie den Frühling von mir 
 grüßen und 
manchmal an mich denken?" 
  
Ich versprachs ... 
"Wie könnte ich Sie jemals 
 vergessen, 
Sie Charmeur ..." 
Und unsere Tränen kullerten 
wieder. 
Dann brauchte er Zeit 
zum Nachdenken, sagte er. 
 
Als ich ihm zur Kaffeezeit 
dann einen Milch-Shake reinbrachte, 
bat er mich wie immer, 
 mich mal eben zu ihm 
auf die Bettkante zu 
setzen. 
 
Wie sooft nahm er meine Hände 
in seine und sagte: 
" Ich habe nachgedacht und: 
Angela, das ist es - 
was Sie mit meiner Frau 
gesagt haben. 
 Sie kommt heute 
um 17 Uhr 
zu Besuch und dann muss 
ich ihr das unbedingt sagen - 
fast 60 Jahre sind wir 
verheiratet und dann wirds ja 
wohl mal 
endlich Zeit dazu, sie hat mich ja 
 schließlich die ganzen 
Jahre ertragen müssen" 
 und er lächelte mich an. 
 
Ob ich ihm nicht noch 
schnell ein paar Blumen 
besorgen könnte - 
rote Rosen wenn es geht. 
Natürlich tat ich das - 
mit einem 
Herzchen-Blumenstecker, 
Bear-Gras und etwas 
Schleierkraut 
drin. 
 
Ich brachte den Strauß zu ihm 
 und er freute sich sehr. 
Ich hatte längst Feierabend 
und wir verabschiedeten uns 
bis zum hoffentlich nächsten 
 Tag. 
"Da wird sich Ihre Frau aber 
sicher freuen", 
sagte ich noch 
"aber das Küssen nicht vergessen", 
zwinkerte ich ihm noch zu ... 
er lachte. 
 
 
Am nächsten Morgen dann: 
  
Ich kam zum Dienst und sah 
schon das kleine 
Kreuzchen aus grünem 
Rattan mit blau-weißen Blümchen 
in der Mitte an 
Tür 105 
hängen. 
Die Kollegin sagte: 
"Geh mal ruhig zu ihm rein, 
 er wartet schon auf 
dich - 
wir haben ihn extra noch in 
 seinem Zimmer gelassen für 
 dich." 
Er war ganz friedlich 
eingeschlafen mit einem so 
glücklichen 
Lächeln im Gesicht ... 
kurz bevor es 
Mai 
wurde. 
 
* 
* 
* 
 
- in liebevoller Erinnerung an Herrn P., 
den ich SICHER NIEMALS 
vergessen werde - 
 
 
 
~ © Angela ~
			
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