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Alt 24.04.2014, 20:10
Lehla Lehla ist offline
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Registriert seit: 24.04.2014
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Standard Wenn von einem zum anderen Tag alles anders ist.

Hallo und erst mal Dank an alle die sich hier Zeit zum Lesen und Schreiben nehmen.

Mein Name ist Lehla, ich komme aus Österreich, bin 50 und habe bisher in meiner Familie 4 Lungenkrebsfälle mit letalem Ausgang erleben müssen.
Mein Onkel mit 67 Jahren, verstorben exakt ein Jahr nach der Diagnose.
Seine Tochter, also meine Cousine, mit 46 erkrankt, ein Jahr später verstorben.
Ein weiterer Cousin mit 41 erkrankt, 6 Monate nach der Diagnose verstorben.
Meine Tante, seit drei Jahren erkrankt, aktuell zum Sterben zuhause.
Dazu muss ich sagen, alle bisher verstorbenen Familienmitglieder durften nicht in Würde und Erlösung sterben, sie mussten elend zugrunde gehen.
Anders kann man das nicht mehr benennen.
Es hatte einfach nichts mehr mit Leben zu tun und war teilweise schon unwürdig und kaum mehr zu ertragen.

Heute am Vormittag bekam ich die Diagnose, meine Mutter hat einen 6cm Tumor in der Lunge, Metastasen in der Leber und in den Lymphen.
Mit COPD4 ohnehin inoperabel und daher realistisch betrachtet ohne Chance.
Warum ich das hier erzähle ist jedoch nicht nur der Umstand an sich, ich möchte auch berichten wie mir als besorgte Tochter diese
niederschmetternde Diagnose heute mitgeteilt wurde.

Der leitende und sicher verdiente und hoch kompetente Prof. der CT Abteilung in Graz, hat mir zwischen Tür und Angel zum Sekretariat folgendes gesagt, als der mir die Bilder dabei in die Hand drückte.
Der Befund des Schädels ist unauffällig und damit total in Ordnung, wir haben aber auch gleich den Thorax mitgemacht und dabei einen 6 cm inoperablen Tumor in der Lunge und Metastasen in Leber und Lymphen gefunden.
Darum hat sie auch die Schmerzen.
Das Ganze dauerte nicht mal eine Minute und war ungefähr so als hätte er mir grad die Anleitung zu einem Videogerät in Kurzform zu erklären versucht.
Nicht das geringste Feingefühl, kein einleitender Satz, einfach kurz und bündig die Fakten.
Das alles am Gang neben den wartenden anderen Patienten.
Mein Erstarren bzw. meine generelle Reaktion waren ihm auch kein einziges Wort des Zuspruchs wert, im Gegenteil. Er meinte nur abschließend, eine OP kommt ohnehin nicht mehr infrage, da sie kein Anästhesist aufgrund ihrer schweren COPD freigeben würde, Chemo wird wahrscheinlich die einzige Möglichkeit sein.
Damit übergab er mir die Bilder und beendete das Gespräch.
Ich brauchte fast 15 Minuten um überhaupt den Weg zum Ausgang zu finden, der ohnehin nur weniger Meter entfernt war, da ich das Gefühl hatte der Boden unter meinen Füßen fehlt.
Ich habe keine Ahnung ob dieser Mediziner einen schlechten Tag hatte oder generell solche Auftritte hinlegt, mir ist aber heute das erste mal persönlich bewusst geworden, wie es sich anfühlt wenn Ärzte nicht mal über Spurenelemente von Menschlichkeit verfügen.
Ich weiss auch nicht was mich mehr aus der Fassung brachte, die Diagnose oder die Art ihrer Verabreichung.

Meine Mutter ist mit COPD 4, 4 Bypässen, und drei inoperablen Wirbeleinbrüchen aufgrund schwerer Osteoporose, ohnehin geplagt.
Diese Diagnose würde sie aber nicht überleben, und dafür würde sie selbst sorgen.
Angesichts der familiären Lungenkrebs Tragödien ist sie nicht nur bestens über Anzeichen, Verlauf und Prognosen zu dieser Krankheit informiert, sie hat auch nie darauf verzichtet zu bekräftigen, dass sie mit so einer Diagnose sofort selbst alles in die Hand nehmen würde und dem zu erwartenden Leid durch eigene Hand ein Ende setzt.
Nun ist meine Mutter kein Mensch der leeren Worte und tut was immer sie sagt.
Auch das ist der Grund meiner momentan gefühlten inneren Ohnmacht.
Ich muss morgen mit diesem CT Befund zum Hausarzt und um eine Einweisung in die Klinik bitten.
Davor jedoch muss ich versuchen alles zu tun, um den Medizinern klar zu machen, dass die Wahrheit meiner Mutter nicht zumutbar ist, da damit jede Behandlung gleichzeitig keinen Patienten zur Anwendung mehr finden würde.
Wie aber sollte man ihr eine Chemo erklären, ohne dabei die Wahrheit ins Spiel zu bringen?
Wie soll man eventuell erleichternde Therapien anwenden können, wenn der Patient den Ernst der Lage selbst nicht erkennen darf?
Oder was mache ich wenn die Wahrheit unumgänglich wird?
Und hat man überhaupt das Recht einem todkranken Menschen seine eigenen und letzten Entscheidungen zu verwehren?

Das und hundert andere Fragen dazu haben mich hier landen lassen.
Ich erwarte mir ehrlich gesagt nicht mal Antwort, es reicht mir wenn ich es nur einfach " wegschreiben " kann.
Ich sitze hier alleine und höre nur das Ticken der Uhr an der Wand, fühle mich leer und irgendwie wie betäubt.
Dabei habe ich nicht die geringste Ahnung wie es morgen weitergehen wird und wie ich ihr gegenübertrete.
Ich weiss nur eines sehr genau, wie oder was auch immer kommen mag, ich werde es nicht zulassen sie lebenserhaltend leiden zu lassen.
Daher hoffe ich heute schon darauf, dass mir in den kommenden Tagen Mediziner der anderen, der besseren und menschlicheren Art begegnen und mich bzw. uns auf diesem Weg unterstützen, damit meiner Mutter die verbleibende Zeit mit Würde leben darf.
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