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Alt 25.06.2016, 14:02
minasmami minasmami ist offline
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Standard AW: Die Zeit rinnt durch die Finger

Update!

Nach vielen Untersuchungen OHNE Befund und kaum auszuhaltenden Kopfschmerzen wurden im März bei meinem Dad mehrere Hirntumore festgestellt.

Warum auch nicht! Setzt man sich mit dem Verlauf dieses Krebses auseinander ist dies eine logische Folgerung nachdem ja schon Metastasen in Knochen, Leber und Lymphknoten vorhanden waren.

Es folgten 12 Bestrahlungen des ganzen Kopfes die er sehr gut weggesteckt hat - Kopfschmerzen verschwunden.
Aber sehr aufgedunsenes Gesicht vom vielen Cortison.

Der April und der Mai waren gute Wochen und Monate - auch wenn das Gehen nurmehr mit Rollator möglich war.

Ende Mai fiel uns ein verändertes Wesen auf - bei jeder Kleinigkeit wurde mein Dad sehr schnell böse und laut.

27. Mai!
Meine Mum hat sich entschieden ein Rezept ausstellen zu lassen für einen Rollstuhl und ein Krankenbett - damit dieses einfach da ist wenn man es denn braucht.

30. Mai!
Abends ein erster Besuch der Sozialstation um zu besprechen das nun 1x die Woche jemand kommt der meiner Mum bei der Körperpflege hilft.
Hausärztin fragt Papa ob er sich nicht für die letzten Wochen und Monate mal das Hospiz ansehen möchte.
Papa spricht vom Urlaub in Ungarn im August.
Dialiysezentrum findet Anschaffung von Bett und Rollstuhl gut - kann keine Einschätzung geben - vielleicht noch ein paar gute Wochen - maximal Monate!

31. Mai 13.30 Uhr
Mama weint!
Ich rufe in der Arbeit an das ich später komme.
Dialysezentrum hat angerufen und Mama gesagt das Rollstuhl und Bett nicht mehr bestellt werden brauchen - Papa bleiben nur noch wenige Tage!

Papa kommt mit Taxi nach Hause - steigt selbstständig aus dem Taxi aus.
Die drei Stufen ins Haus kommt er nur durch Zuhilfenahme meines Bruders und der Taxifahrerin.
Endlich drin - sitzend im ausgeliehenen Rollstuhl - brüllt er meine Mum an - so böse und abwertend habe ich ihn nie zuvor erlebt.
Mit Hilfe eines sehr gläubigen Nachbarn schaffen wir ihn ins Bett und ich mache mir Sorgen wie das nun weitergehen soll - ER MÖCHTE NICHT INS KRANKENHAUS!
Der Nachbar fragt Papa ob er mit ihm beten dürfe - Papa bejaht und beruhigt sich! Auch der Nachbar erkennt: Er ist schon auf der Reise.

Schlimme Nacht - Papa will immer wieder aus dem Bett flüchten!

1. Juni!
Sozialstation ist da zum Waschen - Papa ist wach - reagiert aber nicht mehr auf Ansprache - hat offensichtlich starke Schmerzen. Wird unter großem Aufwand und Schmerzen nochmal umgekleidet.
Sozialstation hat auf die schnelle doch noch ein Krankenbett besorgt weil die Gefahr des Herausfallens zu groß ist.
Zum Umlagern vom Ehebett ins Krankenbett verlasse ich das Haus - ich kann das nicht!!
Papa ist wach - schläft - ist wach - schläft.
Wirklich ansprechbar ist er nicht mehr - nur noch ein kleiner Teil von ihm ist da.

Verabschieden finde ich ganz ganz wichtig.
Also entschließe ich mich gegen 19.00 Uhr nochmal zu Papa zu gehen.
Es ist Zeit Tschüss zu sagen.
Ich halte seine Hand und spreche aus wovor ich so große Angst hatte.
Alles ist gut! Und wenn Du es nicht mehr aushältst dann darfst zu gehen!

Ich glaube wir waren uns noch nie so nahe wie in diesem Moment.
Er hatte die Augen geöffnet und sein Gesicht zu mir gedreht.
Ich bin mir nicht mal sicher ob er noch was gesehen hat.
Aber er hat geweint - so sehr geweint - ohne eine einzige Träne.
Nie vorher habe ich mich von meinem Vater so geliebt gefühlt!

Er ist sehr unruhig - hat sehr starke Schmerzen - ich entschließe ich irgendwann zu gehen - kann die Nacht erstaunlich gut schlafen.

2. Juni!
Ich kann erstaunlich gut schlafen und träume bis jemand in meinem Traum auf Pause drückt.
Ich sehe auf die Uhr - es ist kurz nach 5.
Ich wundere mich kurz über das wach werden und sehe mich um weil ich das Gefühl habe es steht jemand neben mir.
Aber außer meinem schlafenden Mann ist keiner da.

Das Telefon klingelt!

Papa ist um 5.15 Uhr friedlich eingeschlafen!


Ich bin froh und dankbar das es zum Ende hin so schnell ging und er nicht mehr lange leiden musste - gleichzeitig geschockt über das plötzliche Tempo das er vorgelegt hat!

Mama hält sich tapfer! Ich hoffe das bleibt so - denn mir fehlt er jetzt wo der Alltag eingekehrt ist sehr.
So vieles fällt mir ein was ich doch noch sagen wollte - wie lieb ich ihn hab (so etwas wurde bei uns zuhause nie ausgeprochen).
Oder das er von oben auf die Kinder aufpassen soll.
Oder auch das er beim Fußballgott ein gutes Wort für den VfB Stuttgart einlegen soll.
Ganz oft denke ich - oh das muss ich Papa erzählen.
Die EM Spiele ausdiskutieren - übers Wetter philosophieren - Mama ärgern.
Ich hätte nicht gedacht das man das doch so vermissen kann.

Nun ist er schon 3 Wochen nicht mehr da - und irgendwie wird es immer unwirklicher!
Alles ist vorbei und bis auf ein paar Kleinigkeiten alles abgewickelt (irre wie schnell ein Mensch "abgewickelt" ist).
Ich bin immer noch überwältigt von der Anteilnahme die uns entgegengebracht wurde und den vielen Menschen die uns und ihm auf seinem letzten Weg begleitet haben.
Die Beisetzung hätte ihm gefallen und vor allem das er seinen geliebten FC Bayern sogar mit in die Urne nehmen durfte.

Was bleibt ist zugleich Freude und große Trauer - ein leerer Platz - aber trotz allem das Gefühl:

ALLES IST GUT!

Geändert von minasmami (25.06.2016 um 14:06 Uhr)
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