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Alt 21.10.2002, 08:07
Gast
 
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Standard Dokumentarfilm über das Tabu Sterben

Hi, war am WE irgendwie dauernd unterwegs, daher erst heute wieder ein Posting von mir.

Etienne: Du meinst, ich wüßte nicht, was Freundschaft bedeutet, weil ich kein Verständnis für meine Freunde hätte? Ich habe hier etwa 50.000 Seiten reingeschrieben und darin meinen derzeitigen Zustand beschrieben. Im Zusammenhang mit dem Posting von Susan (18.10., 18 Uhr nochwas) lies dir das doch bitte noch einmal durch! Die Diagnose Krebs steht für mich seit knapp 2 Monaten: Seit dem 12.08.2002 habe ich etliche Tage hinter mir, an denen es mir einfach nur scheiße ging (entschuldige bitte den Ausdruck!), sowohl physisch als auch psychisch. Ich bin ganz bestimmt nicht der mensch, der sich gehen läßt und alle anderen dafür verantwortlich macht. Du bezweifelst das? Dann stell mal Hans diese Frage... Ich wollte es erst nicht erzählen, aber wir kennen uns sogar persönlich, daher kann er dir einiges über mich erzählen. Und du siehst, er verhält sich dennoch neutral, ist nicht Pro-Karin!

Ich glaube nicht, dass ich rigoros alle wegweise, die nicht betroffene sind. Auch wenn Angehörige/Freunde etc. die gefühle, Ängste, Gedanken von Betroffenen nicht in dem Ausmaß nachvollziehen können wie andere betroffene, können sie viel tun. Das habe ich auch die ganze Zeit gesagt. Ich habe nie behauptet, dass alle Angehörigen in dieser Situation eh nicht helfen können. Aber einige aus meinem Umfeld bringen ja nicht mal 5 Minuten zum zuhören auf! Darum ging es die ganze Zeit. Die ganze Zeit, wo man gesund ist, Treffen organisiert, ein Bierchen mitzischt, zu geburtstagen erscheint und lustig drauf ist, ist alles ok. Aber wehe, du bekommst eine schlimme Krankheit, wirst operiert und es scheint alles in Ordnung - dann reden wir bitte nicht mehr drüber, jetzt kann das oben beschriebene Leben ja problemlos weitergehen. Dass ich Angst vor Metastasen habe, Angst, dass evtl meine Beziehung an dieser Last zerbricht (was glücklicherweise nicht passiert ist), dass es mich ankotzt, dass ich dreimal die Woche spritzen muß und es mir jedesmal danach dreckig geht, dass ich meine Kondition nicht mehr wie früher habe, dass meine 15cm große Narbe mir Schmerzen bereitet usw... Nein, über all diese unangenehmen Sachen möchten manche halt nichts hören. Das passt nämlich nicht in das Bild der starken Karin, die doch immer lustig und für jeden da ist...

Ich bin nur froh, dass es auch ne ganze Menge andere Leute gibt, die zwar normal mit mir umgehen, aber denen halt auch bewußt ist, dass ich krebskrank bin und mir auch mal zum heulen zumute ist oder ich einfach nur in den Arm genommen werden möchte. Das geht auch wieder vorbei, aber in genau diesem Moment sind diese Leute für mich da.

Du siehst, ich sehe es schon, wenn auch nichtbetroffene helfen und das tut wirklich gut zu sehen. Dann weiß ich, wer die Menschen sind, auf die ich bauen kann.

So, das war´s, was ich dir sagen wollte.

An Petermännchen
Du schreibst, deine Meinung sei unbeachtlich, da du weder Betr. noch Angeh. bist. Alles Quatsch! Auch Hans ist weder betroffen noch Angehöriger, und dennoch haben einige hier mit ihm diskutiert. Und obwohl auch er eingesteht, dass man das, was betroffene durchmachen, nicht wirklich nachvollziehen kann, setzt er sich hin und hört zu. Das weiß ich, weil ich nämlich diejenige bin, mit der er sich hinsetzt und zuhört, sei es nun diese Krankheit oder das letzte romantische Erlebnis mit meinem Freund (Grins...). Und daher war er auch interessiert, was andere hierzu denken. Es ist doch egal, wer was ist, man kann doch offen seine Meinung sagen hier. Mir passt auch vieles nicht, was einige schreiben, aber den Hintergrund für die diversen unterschiedlichen Meinungen bilden doch nur die unterschiedlichen Erfahrungen. Das einzige, was mich an Insomnia zB gestört hat, war nicht ihre Meinung, sondern, dass ich fast nur angegriffen wurde. Kurz und knackig abgehandelt, obwohl ich wie gesagt etwa 50.000 Seiten Zustandsbeschreibung abgeliefert habe (und das in allererster Shakespeare-manier...Grins!). Was ich damit sagen will: Ich habe schon versucht, auch meine Umwelt zu verstehen und nicht allzu oft zu belasten. Aber das hier ist ein Zustand, in dem ich gerade etwas mehr auf ein offenes Ohr angewiesen bin als sonst, und da denke ich, diese 5 Minuten hat man für seine Freunde, oder???

Es gibt aufgrund unserer Individualität kein Patentrezept, wie man mit uns kranken umgehen soll. Selbst ich kann dir nicht mal sagen, wie du Mrs. oder Mrs. XY behandeln sollst, woher auch? Alles, was man machen kann, und was auch Hans und andere auch schon sagten, ist, sich sensibel zu nähern und da zu sein, wenn der/die Kranke einen braucht. Und das unabhängig davon, ob man selbst krank ist oder jemanden krankes kennt.

In diesem Sinne einen lieben gruß an alle und einen guten Start in die Woche. karin
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