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Alt 19.06.2005, 21:38
Gast
 
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Standard Nicht nichts ohne dich, aber nicht dasselbe.......

Meine liebe Alina,

Dein lieber, langer Brief hat mich gestern noch erreicht, ich wollt ihn dann auch wirklich haben und hab gerne darauf gewartet!Stundenlang!

Über eine lange Strecke haben mehr oder weniger wir beide hier geschrieben, nun sind innerhalb einer Woche andere Menschen dazugekommen. Von Anfang an war ich zu 99,99 Prozent sicher, daß Dir das recht ist,nun sind es 100%.

Jeder Mensch spricht etwas Neues an, es wird eine andere Saite in einem zum Schwingen gebracht, es gibt einen neuen Blickwinkel, eine Erinnerung, ein in sich Hineinhorchen, etwas, was sonst nicht geschehen wäre. Es hat diesen Menschen, in genau dieser Stunde gebraucht.

Ich kann Euch allen nur sagen, daß ich mich erstens glücklich, zweitens fröhlich, drittens gut aufgehoben fühle in Eurer Runde! Danke, daß Ihr da seid!

Alina, meine liebe Schwester, auch mir wurde sehr bald gesagt, du gehst wie die Mama, du siehst ihr immer mehr ähnlich, das hätte deine Mama jetzt auch gesagt, usw. Ich fühlte, und fühle mich geehrt, nicht nur das, ich bin glücklich, daß ich mich geehrt fühlen darf und kann.
Obwohl ich jede Pore ihrer Haut, jede kleine Falte, jede Sommersprosse ihrer Oberarme, alles, alles abrufen kann, habe ich leider ihre Stimme nicht gut in mir.
Ich kann Töne nicht gut herbeiholen, auch oftmals gehörte Musik ist nicht in meinem Ohr. Werner hört ein paar Sekunden hin und kann jede Sonate, jedes Konzert zuordnen. Als ich dieses Bedauern bei einer Freundin äußerte,meinte sie, aber das ist doch kein Problem, hör dir selbst zu, dann hörst du deine Mama!

Ja, Alina, die Heimat, die ist weg. Mit Mamas Tod war die Heimat weg, mit Papas Tod dann auch endgültig die Kindheit. Einen Ersatz habe ich nicht gefunden, aber ich fühle mich nicht mehr als herumirrendes, allein gelassenes Schaf. Wenn ich in jungen Jahren hinter tollen Männern her war,so war ich dann einige Zeit hinter lieben, alten Damen her!
Ich glaube man baut sich nach und nach eine Heimat in sich selbst auf. Es ist vielleicht das, was Du meintest "sich selbst bemuttern und bevatern", was ich meine,mit "die Mama, den Papa,gut in mir haben". Wer weiß, vielleicht ist es der Punkt im Leben, an dem man die Heimat nach eigenen Vorstellungen gestalten kann. Man nimmt mit, was man mitnehmen will aus der früheren Heimat, läßt zurück was beschwerte, gibt dazu, was man selbst für wichtig erachtet.Vielleicht ist diese erst schmerzhafte Zäsur auch eine unwahrscheinliche Möglichkeit. Wie es heißt...eine Tür geht zu, eine andere öffnet sich....

Das seh ich auch so, daß man Mütterlichkeit leben kann,ohne Kinder zu haben. Auf jeden Fall. Ich habe mir einmal ein Horoskop zeichnen lassen, auch eines für meine Mama. Bei der Besprechung hieß es, Familie sei mir wichtig, ich sei für Kinder wichtig. Bei Mama hieß es Familie sei für sie unwichtig. Ich sagte, ist ja komisch, ich hab nun keine, sie schon, da meinte die Asrologin, ja wer lebt schon sein Horoskop!

Es macht mich richtig froh, daß Du Grund hast mit Deinem Bruder glücklich zu sein. Du hast das so lieb, warm und dankbar beschrieben, das hat mir innerlich einen Ruck gegeben. Denn das war und ist mein Bruder so gut wie immer. Ich will jetzt ein wenig in mich gehen, nachdenken, ob ich vielleicht einen Tick zu nachtragend bin? Meine Mama hat in den letzten Jahren immer wieder gesagt, es sei für sie ein guter, beruhigender Gedanke, diese Gewißheit, daß wir immer fureinander da sein werden, einer auf den anderen schaut.

Du mußt Dich nicht vor dem Sterbetag Deiner Mama fürchten. Meistens ist unsere Angst vor der Angst schlimmer als jede Realität. Bei mir war das bis jetzt immer so. Es ist ein Jahrestag und als solcher schmerzhaft wie die anderen gewissen Tage auch. Ich bin dann Tage vorher melancholisch, in mich gekehrt, aber ich zelebriere diese Zeit auch. Im ersten Jahr nach Mamas Tod habe ich monatelang ihren letzten Tag, ihre letzte Nacht immer wieder, jede Woche aufs neue, durchlebt. Auf die Uhr gesehen, jetzt war das gewesen, dann das. Ohne Ende. Irgendwann hab ich mir gesagt, du kannst ja auch versuchen damit aufzuhören. Wir MÜSSEN es nicht noch einmal durchleben, durchstehen, aushalten. Sie nicht. Ich nicht.

Sag dann bitte, wenn der Tag kommt, da zünd auch ich eine Kerze an für Deine Mama und wenn Du mich brauchst, dann sitz ich nicht nur in Deiner Küche, sondern nonstop am Laptop!!

Zum Schluß - ich bin jetzt in Deutschland, auch ich empfinde wie Du, es ist völlig egal woher du kommst, wo Du bist und doch ist so etwas wie eine klitzekleine Freude, daß Du auch Österreicherin bist. Frag mich nicht warum, ich weiß es nicht.

Ich umarme Dich und wünsch Dir einen guten Wochenbeginn
Deine Briele