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Alt 18.11.2002, 08:34
Gast
 
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Standard Wie soll es jetzt nur weitergehen?

Hallo Brita,

ich möchte Dir gerne meine Gedanken dazu hier aufschreiben. Vielleicht wird es Dir ein bisschen helfen. Es sind aber lediglich die Gedanken meiner persönlichen Erfahrungen, deswegen will ich schon im Voraus bemerken, dass ich nichts Verallgemeinern will. Es ist vielleicht einfach eine andere Sichtweise.

Also, dieses "Davonlaufen", dieses "Sich-zurück-ziehen" von Angehörigen ist leider eine Situation, mit welcher wir Krebspatienten oftmals konfrontiert werden. Gerade in jener schwierigen Zeit, wo wir so dringend auf die Hilfe, Unterstützung, ja manchmal auch nur auf die Anwesenheit unserer Lieben angewiesen sind, kommt es immer wieder vor, dass wir geradezu fassungslos zuschauen müssen, wie diese Lieben uns plötzlich den Rücken zukehren.

Zuerst sitzt man da und ist zutiefst verletzt. Man kann es kaum glauben. Man fühlt sich verlassen, ungeliebt, alleine gelassen, ausgeschlossen, ja auch ausgestossen. Diese Gefühle gehen sehr tief, denn man wird sich in gewissem Sinne gewahr, dass man mit Krebs (oder halt eben mit einer schweren Krankheit) nicht mehr "dazu gehört". Man ist nicht mehr in der Welt der "Gesunden", in jener Welt, wo alle sorglos und fröhlich sind, wo kaum jemals Tränen fliessen wegen Krankheit und Tod. Ja, man könnte sagen, man ist in eine andere Welt übergetreten, in eine Welt des Leides, der Sorgen, der Tränen, aber auch eine Welt des Kampfes, der Einsicht und des Sieges.

Dann kommt vielleicht eine Zeit der Wut, was wir durch das Verlassenwerden empfinden.

Dann, mit der Zeit, können wir Betroffene aber versuchen, unsere davongelaufenen Lieben zu verstehen. Denn wir haben zwei Möglichkeiten: Entweder quälen wir uns weiter in unserer Bitterkeit und Traurigkeit über das Verlassenwerden geliebter Menschen, ... oder aber wir versuchen, SIE zu verstehen.
Wenn wir nämlich von diesen "zwei Welten" ausgehen (das ist jetzt ein bisschen ein überspitzter Ausdruck, hat aber doch viel Wahres), dann können wir erkennen, dass SIE, jene geliebten Menschen, die noch in der "anderen", in der "gesunden" Welt leben, ... ihre eigenen Motive zum "Rückzug" haben.
Das ist bei ihnen nämlich in erster Linie die eigene Angst. Die Angst, nicht mit dieser Situation eines Krebspatienten umgehen zu können. Die Angst, alles falsch machen zu können. (Ängste des Versagens, das ist oft bei Männern so.) Dann kommt die Angst vor diesem Konflikt überhaupt, denn sie werden auch an ihr eigenes Leben erinnert und mit dem eigenen möglichen Tod konfrontiert. Dann kommt die eigene Angst, den geliebten kranken Menschen verlieren zu können. Dann kommt die Angst vor dem Anblick des Leides, denn dieser alleine kann bereits unerträglich sein. Dann kommt das eigene Unwissen über diese Krankheit dazu, was ebenfalls schrecklich ängstigt. - ... usw.

Wenn wir also erkennen, woran es liegt, wenn sich ein geliebter Mensch vor uns zurück zieht, so können wir es selber besser ertragen.
Und je nach dem können wir auch danach handeln. Entweder akzeptieren wir es, oder aber wir versuchen, es ihnen "verständlich" zu machen. Letzteres ist zwar oftmals ein harter Weg, welcher für uns enorme Energie benötigt, und von welcher wir ja nicht unbedingt gerade so viel besitzen. Doch man kann es ihnen z.B. mit Fachbüchern "erklären", die man ihnen schenkt oder ihnen ausleiht, um ihr Wissen etwas aufzubessern. Oder man führt eben ruhige Gespräche darüber.

Und Mitleid? Wir wollen eigentlich kein Mitleid, und doch sind wir darauf angewiesen, dass unsere Lieben ein kleines Stück "mit-leiden", denn wenn diese das schon gar nicht können, werden sie auch nicht "verstehen", und am Ende uns auch nicht begleiten und helfen können.
Die Bereitschaft zum "mit-leiden" hat aber auch nicht jeder. Hier kommen wir eben wieder auf die eigenen Ängste zurück.

Für einen Partner, der in diesen Ängsten schwebt, ist so eine Situation eine "Entscheidungssache". So hart das vielleicht klingen mag. Was für uns ja eigentlich das Selbstverständlichste der Welt ist, wenn man LIEBT, so ist es für so einen solchen Partner ZUERST eine Entscheidungssache. Er fragt sich lediglich: "Mach ich da mit oder nicht?" Und wenn seine Ängste zu stark sind, dann wird er sich eben dazu enttscheiden, NICHT mitzumachen. Das wird ihn dann auch nicht davon abhalten zu sagen: "Wir passen nicht zusammen!", denn mit diesem einen Alles-erklärbaren-Satz hat er sich vor seinen eigenen Ängsten "geschützt" und die Sache ist somit für ihn geregelt. Tja, und möglicherweise "glaubt" er ja selber sogar daran, dass er nicht zu dem "kranken" Partner passt.

Letzten Endes bleibt jedoch die Frage offen, WIE er mit dieser "Entscheidung" leben kann. Wenn er gut im Verdrängen ist, dann wird es ihn nicht stören. Wenn er aber weiss, dass er - eigentlich - NICHT so richtig gehandelt hat, dann wird es ihn bestimmt selber quälen. Aber das ist dann sein Problem.
Und die allerletzte Frage wäre natürlich auch: Wie ECHT war seine Liebe eigentlich wirklich?

Ich umarme Dich ganz fest, liebe Brita, und wünsche Dir viel Mut und Kraft. Denke daran, in Dir selber steckt eine menge Energie ...

Ganz liebe Grüsse
von der "krassen" Brigitte
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