[BarbaraO]

Hallo zusammen,

es ist dunkel. Die Heizung ist angestellt, Kerzen brennen... Zeit für eine traurige Geschichte am Kamin:

Die kleine Bärbel (ich hieß früher so, wie meine Katze jetzt) wartete auf ihren Vati. Endlich kam er mit seinem Moped die Straße herunter. An seinem Lenker hing ein Sack, in dem es sich ganz spannend bewegte.
Da holte er eine kleine weiße Gans heraus. Die war so lieb. Wir tauften sie Liese.
Liese wurde meine beste Freundin. Meine Schwester ist 4 Jahre und 4 Stunden älter und die anderen Kinder waren eher in ihrem Alter. Mit mir wollten sie oft nicht spielen, weil ich doch erst 5 Jahre alt war. Außer Mutter und Kind. Ich mußte immer das Kind sein. Das fand ich doof.
Liese liebte mich. Ich konnte meine Puppe auf ihr reiten lassen. Manchmal saß sie in einem Pappkarton auf meinem Roller oder in meinem Stubenwagen, der immer wieder ein Rad verlor. Abends brachte ich meine Liese ins Bett. Vati hatte einen alten Kaninchenstall umgebaut. Ich kroch mit in den Stall und legte meinen Kopf auf ihre Federn und schlief auch ein. Regelmäßig mußte ich aus dem Stall geholt und ins Bett gelegt werden.
Liese hörte nur auf mich. Kaum dass ich ihren Namen rief, kam sie schon laut schnatternd angerannt. Bereit zu neuen Abenteuern oder einer ausgiebigen Schmuserunde.
Dann war sie plötzlich verschwunden. Ich fragte überall und niemand wußte, wo sie steckte. Das war eine ganz schreckliche Zeit für mich. Ich konnte einfach nicht verstehen, dass Liese weggelaufen ist, wo ich sie doch so geliebt habe. Ich wollte ihr doch meine Weihnachtsgeschenke zeigen und hatte für sie eine ganz schöne Karotte.

Dann war der 1. Weihnachtstag. Wir saßen alle bei Tisch und es duftete herrlich.
Oma sagte plötzlich: "Liese ist aber lecker."
Ich begriff leider sofort, was sie meinte und mußte fürchtbar weinen. Meine Schwester weinte mit. Dann fing Vati an und zum Schluß auch Mutti.
Oma mußte die Gans alleine aufessen....
Ich habe nie wieder einen Gänsebraten angerührt und meinen Eltern diesen schnöden Mord an meiner besten Freundin bis heute nicht verziehen.
Niemals hätte ich sowas tun können. Niemals könnte ich etwas essen, das einen Namen hat.
Diese Geschichte ereignete sich vor fast 50 Jahren und tut immer noch weh.

Liebe Grüße

Barbara