Thema: Stammtisch
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Alt 19.05.2006, 10:39
shalom shalom ist offline
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Standard AW: Stammtisch

AndreaS schrieb:

Zitat:
...
Vielleicht kann Shalom mir was erzählen. Die großen Strecken, die hinter mir liegen, positive, hoffnungsvolle Gefühle. Wann kommt die Gleichmäßígkeit? Wann wirft es mich nicht mehr unvermittelt um? Ich WILL ja, will wirklich, dass das Leben sich wieder gut anfühlt, es ist nicht, dass ich verharren möchte. Aber ich glaube, ich werde nicht gefragt, was ich möchte.
...
Liebe Andrea (AndreaS),

mir ist es genauso ergangen, es war lange überhaupt nichts "gleichmäßig". Die dunklen Wolken kamen, wie sie wollten. Mal war es nachvollziehbar, warum gerade jetzt, ein anders Mal, war es mir nicht sofort klar, warum die Trauerwolke über mir lag.

Um Trauer zu bearbeiten, habe ich mich manchmal in der Anfangszeit der Trauer in Trauersituationen begeben (Gemeinsam Erlebtes:ehemalige Spazierwege während der Krankheit, Krankenhaus /Hospiz aufsuchen, nach Freiburg in die Tumorbiologie usw.). Das war sehr schwer und es war sehr gut. Damit konnte ich vielleicht meine Trauer etwas bearbeiten, verschnellern konnte ich den Prozess der Trauerbearbeitung aber wahrscheinlich damit nicht.

Ich habe da nicht sehr viel Einfluß nehmen können oder auch wollen, denn die Seele steuerte es wohl komplett alleine in jenen Augenblicken.

Trauerwolken kamen häufig, wenn Erinnerungen wachgerufen wurden z.B. durch bestimmte Gerüche, Rituale, Straßenecken, gemeinsame Erlebnisse. Die Wolken kamen aber auch, wenn ich Konflikte nicht auflösen konnte und mir wünschte, ich könnte sie mit meiner verstorbenen Frau besprechen. Wolken traten auch auf in zunächst scheinbar gar nicht mit meiner Frau zusammenhängenden Situationen.
Abschiede , welcher Art auch immer, habe ich nicht gerne erlebt, sie waren bei mir mit erlebter Einsamkeit und auch mit Krankheit, Sterben, Endgültigkeit "verknotet". (Daher wohl auch der damals spontan gewählte Titel meines eigenen Threads.) Es hat eine Weile gedauert, diesen gordischen Knoten zu zerschlagen, denn ganz vorsichtig und allmählich änderten sich durch neue positive Erfahrungen die Schwerpunkte meiner Seeleninhalte.

Im Laufe der Zeit habe ich ohne Zwanghaftigkeit die gerade erschienene Wolke beobachtet und ihre Herkunft herauszubekommen versucht. Gelang mir das, war auch die Last dieser Wolke leichter zu ertragen. Konnte ich den Ursprung der Traurigkeit nicht erkennen, so habe ich die Traurigkeit zugelassen und irgendwann zog die Wolke dann auch endlich weiter. Ich musste geduldig mit mir sein.

Die Seele richtet sich nicht nach dem, was wir wollen, sie zeigt uns eher, an welchen verborgenen Stellen noch etwas aufzuarbeiten ist.

Das "Abschiednehmen", "Loslassenkönnen" usw. wieder in den Lebensablauf von Gesunden zu integrieren, als etwas Normales anzusehen und dabei nicht sofort an Sterben und Entgültiges zu denken, dauert eigentlich (wenn auch schwächer) immer noch als Prozess bei mir an.

Es ist schön, dass es Euch hier gibt mit all Eurem Mut, dem Willen, das neue Leben zu bewältigen, und mit Eurer Trauer und Fröhlichkeit.

Es zeigt doch im Vergleich der Schicksale: Ich bin (war) nicht verrückt, ich bin (war) ganz normal mit meinem Fühlen, Handeln, Denken.

Am Stammtisch geht es doch eigentlich eher fröhlich zu, nun ist es ein eher nachdenklicher Beitrag geworden.


LG
Shalom
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Es ist nicht genug zu wissen, man muß es auch anwenden.
Es ist nicht genug zu wollen, man muß es auch tun.


(Johann Wolfgang von Goethe)
"Wilhelm Meisters Wanderjahre", 3. Buch, 18. Kapitel

Geändert von shalom (19.05.2006 um 11:27 Uhr)
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