Einzelnen Beitrag anzeigen
  #204  
Alt 03.02.2003, 09:26
Gast
 
Beiträge: n/a
Standard Malignes Melanom

Lieber Matthias,
Du fragst nach meiner Krankheitsgeschichte. Ich habe ja in den letzten Wochen immer mal Einblick in Teilabschnitte gewährt oder eigene Beispiele zur Verstärkung meiner Anregungen für die Krankheitsbewältigung eingeflochten. Ich glaube, auf diese Weise kann man besser Anregungen geben, als mit der ganzen Geschichte am Stück, denn der Weg einer Krankheitsbewältigung ist nie identisch übertragbar. Außerdem, so ist meine eigene Erfahrung, können manche Aspekte anderen Angst machen und von weiteren Auseinandersetzungen abhalten. Weißt Du, im Grunde müßte ich dann auch meine Geschichte von Anfang bis heute aufschreiben, denn mein Leben mit der Krebserkrankung hört bis zum Ende nicht auf. Mein Leben hat sich durch die aktive Auseinandersetzung mit der Erkrankungssituation verändert - zum Positiven - ich lebe bewußter hinsichtlich meines Immunsystems. D.h. ich achte stets auf meine körperliche wie meine psychische Befindlichkeit und versuche, ihnen gerecht gut zu leben.

Mein MM wurde vor 11 Jahren diagnostiziert. Es saß am re Oberschenkel, wies außer der dunklen Farbe keine der verdächtigen Merkmale auf. Nach 1.OP und anschl. pos. Histo-befund erfolgte die Nachresektion (Abstand von 3 cm Radius um den Tumor - Tumor selbst: Eindringtiefe 1,8 mm, 5 mm Durchmesser), anschl. wurde ich als "geheilt", "weil im Gesunden resiziert", entlassen. Für mich war alles wieder in Ordnung, die Ärzte wissen ja, was sie sagen. Ein wenig Skepsis und Unverständnis blieb, weil ich als Laie immer gedacht hatte: wenn man Krebs hat, muß man Chemo machen, dann gehen einem die Haare aus und irgendwann stirbt man daran. Daß das bei mir anders sein soll, habe ich nicht so richtig verstanden.
5 Wochen später fühlte ich einen kirschkerngroßen LK in meiner re Leiste. Er wurde erstmal beobachtet, weil ich nach der OP, angeregt von einer Kommilitonin, die selbst betroffen war, angefangen hatte, Mistel in den OS zu spritzen und man mir sagte, die LKs reagierten auch auf Narbenheilungsprozesse, Injektionen, etc. Habe dann beruhigt meinen schon lange geplanten Afrika-Urlaub angetreten (mein Arzt dazu: wenn Sie nicht in die Sonne gehen, können Sie fahren wohin Sie wollen!).Natürlich habe ich immer meinen LK beobachtet und daran rumgespielt. Nach Rückkehr war ich dann doch unruhig und wollte ihn wenigstens mal untersuchen lassen. Letztendlich kam er 6 Monate nach Auftauchen raus, mit ihm 11 weitere LKs, davon waren insgesamt 3 inzwischen metastasiert. Dieser Befund gab jetzt den Ärzten Anlaß, mir eine schulmed. Therapie - Interferon, damals fürs MM noch nicht zugelassen, weil keine überzeugenden Erkenntisse über die Wirksamkeit fürs MM vorhanden. Ich habe diese Therapie 13 Monate durchgeführt, wegen der Nebenwirkungen morgens gespritzt, damit ich nachts schlafen konnte und mir meine Leben darauf eingerichtet, jeden Tag neu zu gucken, wie ich ihn am besten rumkriegen könnte. Ich habe zu der Zeit studiert, und mußte viele Stunden wegen der Nebenwirkungen ausfallen lassen, aber meine Gesundheit war mir einfach wichtiger - ich wollte am Leben bleiben. Hatte mir schon diverse Informationen über Fachbücher und in der Selbsthilfegruppe über Überlebensstatistiken geholt, sodaß ich um des Wiedererkrankungsrisiko wußte. Und genau iwe alle anderen wollte ich daß natürlich auf keinen Fall erleben! Deshalb bin ich also seit dem LK-Befund immer bewußt und aktiv mit meinem "Leben mit/nach einer Krebserkrankung" umgegangen.
Melanome gelten als die am schwersten therapierbaren bösartigen Tumore. Ich fand für mich also immer wichtig, mich mit Dingen, die Krankheit bzw. Gesundheit fördern auseinanderzusetzen, um für mich soviel Gesundheit wie möglich zu haben, damit so viel Leben wie möglich, alles gute aus dem Hier und Jetzt mitzunehmen. Die Schulmedizin versucht nur, Krankheit wegzumachen, und schafft es im Falle von Krebs oft nicht. Die gesunden Anteile fördert sie hingegen nicht aktiv.
Meine Devise ist seit langem u.a. der Sätze "Aktzeptieren Sie die Diagnose, aber nicht die Prognose der Erkrankung." von C. Hirschberg und "Schenken Sie dem Leben mehr Aufmerksamkeit als der Krankheit!" von G. Irmey (GfbK). D.h. angesichts meines bedrohlichen Befundes von damals und der Wiedererkrankung stecke ich nicht den Kopf in den Sand und versuche die Diagnose zu verdrängen (immerhin ist mir seit 7 Jahren ein Lymphödem als deutliches körperliches Zeichen geblieben), sondern arbeite stets daran, mein Leben bewußt zu leben.
Ich habe inzwischen viele Kontakte zu Krebspatienten und halte es für fatal, wenn die meisten, versuchen ihre Situation möglichst zu verdrängen, erst bei einem Rückfall aufwachen und dann, wenn der Zug eigentlich schon abgefahren ist, nach Gesundungs und Überlebensstrategien suchen. Es ist wichtig, sich sofort, angesichts der Erstdiagnose, sich seines Immunstärkungsbedarfs bewußt zu sein.
Ich finde einfach wichtig, sich von Anfang an bewußt zu sein, daß eine Krebsdiagnose einen anderen Umgang mit sich selbst erfordert als eine Blinddarmentzündung o.ä. Deshalb rege ich hier im Forum gerne rechtzeitiges Bewußtmachen und Aktivwerden an.
Je früher man dem Krebs etwas entgegensetzt, je früher man sein Immunsystem stärkt, seine Selbstheilungskräfte auf dem Laufenden hält, desto besser die Chance lange gut (damit) zu leben. Mich hat die Erkrankung zu einem lebenslangen Lernprozess veranlaßt, wie Goethe sagt: "Ich habe viel in der Krankheit gelernt, das ich nirgends in meinem Leben habe lernen können."

liebe Grüße von Birgit
Mit Zitat antworten