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Alt 30.06.2006, 06:41
susaloh susaloh ist offline
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Standard AW: Ärzte und Kommunikation

Hallo Inter,

als Mitbetroffene stimme ich dir von ganzem Herzen zu. Bei mir (und vielleicht auch anderen) muss aber doch schon viel zusammenkommen um mir die Kraft und den Mut zu so einem spontanen "Aufstand" zu geben! Besonders wenn ich merke,dass der gute Wille eigentlich da ist, und beim ärztlichen und Pflegepersonal empfinde ich das erstaunlich oft, trotz deren oft stressigen Alltag! Dann denke ich, bringt positive, kooperierende Kritik vielleicht mehr.
Nach dem Motto: Schief gehen kann immer mal was, aber was läuft hier grundlegend falsch und was kann man konkret dagegen tun? Schließlich sollen doch auch die Patientiennen, die nicht so viel Biss haben (bei denen der Kampfanzug grad mal nicht so gut sitzt), davon profitieren!

Hinter einem Kommunikationsproblem in so einem großen Klinikapparat steckt immer ein administratives Problem. Die üblichen Verfahrensweisen müssen überhaupt erstmal erfasst werden, und zwar ehrlich! Der Diskrepanz zwischen offiziellem Regelwerk und Alltagswirklichkeit sehen die Beteiligten ungern ins Auge bzw. sie wagen sie gar nicht offen zuzugeben aus Angst vor Schuldzuweisungen. Einmal erfasst, müssten die tatsächlichen Organisationsstrukturen und Kommunikationsverfahren dann evaluiert, d.h. auf ihre Mängel, Tücken und Fallen hin untersucht und entsprechend verbessert werden. Dies ist sehr aufwendig, weil es einen ständigen Rückkoppelungsprozess mit den Mitarbeitern auf allen Ebenen voraussetzt, und dies funktioniert nur in entsprechenden Arbeitsgruppen, in der wirklich alle vertreten sind und Vorschläge machen können, die ernsthaft berücksichtigt werden.

Natürlich sträubt sich der Klinikapparat gegen diese Arbeit, weil sie viel Zeit und Geld kostet und im Grunde nie ein Ende findet. Schlechtes Führungspersonal, dementsprechend unmotivierte Mitarbeiter, interne Streitigkeiten zwischen den Abteilungen und eingefahrene Hierarchien behindern den Prozess zusätzlich. Oft führt dies am Ende nur dazu, dass dem Personal auf den unteren Ebenen zusätzliche, sinnlose Verwaltungsarbeit aufgedrückt wird, ohne dass wirklich dem Ziel einer besseren internen Kommunikation und Patientenbetreuung gedient wird.

Daher kann solchen Reformprozessen letztlich nur mit Zwang auf die Sprünge geholfen werden - in Form gesetzlicher Vorgaben: Kontrolle von außen (regelmäßige Evaluation durch unabhängige Institutionen), konsequente Selbstevaluation (Patientenbefragung) und gnadenlose Offenlegung der Ergebnisse, so dass die Patienten (und Geldgeber) letztlich mit den Füßen abstimmen können. So läuft das teilweise schon im Ausland, bei uns jedoch werden Reformen gerne völlig unkoordiniert durchgeführt bzw. von hinten aufgezäumt, darum geht es alles langsamer, Probleme durch Förderalismus und starke Lobbyinteressen brauch ich gar nicht zu erwähnen... Je höher man geht, um so weniger passiert!

Ich arbeite beruflich in ähnlichen Reformprozessen im Bereich Universität mit und erlebe ständig, wie auf eine gute Entscheidung zwei schlechte gefällt bzw. einem ständig Knüppel zwischen die Beine geworfen werden (meist durch uninformierte und verstrittene Vorgesetzte, die die Sache unter sich ausmachen). Ich stelle aber immer wieder fest, dass auf der rein praktischen Ebene, ganz einfach durch Motivation und Kommunikation, doch einiges recht leicht verbessert werden kann, und dabei bin ich auf konkrete und konstruktive Kritik von Mitarbeitern und Außenstehenden (wie in unserem Fall den Patientinnen) absolut angewiesen! Das bringt mehr, als wenn Betroffene gleich zum Rektor rennen und damit nur das große Donnerwetter von oben nach unten in Gang bringen!

Hier beisst sich die Katze nun in den Schwanz!

Hier noch mal Titel und Autorin des weiter vorn erwähnten Buchs:

Sibylle Herbert:
"Überleben Glücksache. Was Sie als Krebspatient in unserem Gesundheitswesen erwartet"

Ausschnitt aus einer Amazon Rezension (einer Leserin):
"Ich empfehle dieses Buch gerade deshalb, weil hier nicht nur die Patientin über ihre Behandlung und Gefühle schreibt, sondern weil immer die Geschehnisse auch von den betroffenen Ärzten kommentiert wird. Krebs-Bewältigungsbücher gibt es viele und sie sind sicher sehr nützlich. Aber die Autorin schildert hier nicht nur, was in der Klinik passiert ist, sondern läßt auch die Ärzte beschreiben, warum es so geschehen ist und warum ein Satz so gesagt wurde, warum diese Behandlungsweise empfohlen wurde und nicht eine andere.
Man erhält somit einen kleinen Einblick in das System Krankenhaus, und obwohl wir einen hohen medizinischen Standard haben, ist man als Leser bei manchen Dingen doch fassungslos. "

Geändert von susaloh (30.06.2006 um 06:58 Uhr)
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