Thema: Stammtisch
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Alt 10.07.2006, 10:45
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AndreaS AndreaS ist offline
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Standard AW: Stammtisch

Loslassen oder Saskis Abflug:


Die Nacht war kurz, der Abiball dauerte doch bis in die Morgenstunden und die Zeit würde nun sehr schnell vergehen, es würde nicht viel Muße bleiben an diesem letzten gemeinsamen Tag.

Dennoch versuchten wir alles in Ruhe anzugehen, noch einmal Koffer checken, Listen abhaken, Papiere kontrollieren, für Saski eine letzte Dusche im vertrauten Heim und dann war es schon Zeit, sich von den Geschwistern zu verabschieden.

Jeglicher Geschwisterzwist schien vergessen. Hatte man nicht hin und wieder gehört: Bin ich froh, wenn Du endlich weg bist? Ach tatsächlich? Die Tränen und der Kloß im Hals sprachen heute eine andere Sprache. Letzte Umarmungen, letzte Ermahnungen, letzte gute Wünsche, dann ging es los Richtung Bahnhof.

Micki fuhr uns hin, der Abschied im Halteverbot gnädig kurz.

In der Bahnhofshalle sammelten sich zeitgleich eine Horde französischer Fußballfans und ich war froh, dass meine liebste Schwägerin und ich uns diesen Tag eingeplant hatten, um Saski auf der Zugfahrt zu begleiten. Wäre mir nicht angenehm gewesen, sie alleine dort zu wissen.

Aber auch Saskis Freunde sammelten sich in der Bahnhofshalle, um sie zu verabschieden. Es war rührend zu sehen, wie ungern auch ihre Freunde sie ziehen lassen mussten. Besonders mein „fünftes“ Kind, Saskis Freundin seit nunmehr 9 Jahren, tat sich sehr schwer mit dem Abschied, wohl, weil sie selbst demnächst für einen längeren Auslandaufenthalt weggehen wird und ein Wiedersehen somit für lange Zeit nicht stattfinden wird. Die erste Trennung seit so vielen gemeinsamen Erlebnissen, nach so vielen Jahren.





Dann ging die Fahrt los und im Abteil neben uns die Post ab. Die Franzosen hatten ein ganzes Abteil belagert und begannen die Fahrt erst einmal mit ihrer Hymne und Schlachtrufgesängen für das bevorstehende Fußballspiel in Frankfurt. Es war eine tolle Stimmung, besonders, als dann noch eine Schulklasse dazustieg und kräftig mit deutschen Gesängen dagegenhielt. Es war einfach nur lustig. Die Stimmung war wirklich klasse und offensichtlich gelang dies den französischen Fans ohne jeglichen Alkoholkonsum. Dummerweise mussten wir dieses Abteil passieren, um später zur Toilette zu gelangen und natürlich durften wir das nicht ohne weiteres. Erst mussten wir das Passwort nennen und dabei ließen sie sich auf keine Alternativen oder Halbherzigkeiten ein. Der Code lautete: Allez les bleus – vorher ging nichts. Was ich jedoch wirklich toll fand, ist, dass die „magische Linie zu keinem Zeitpunkt überschritten wurde, es war Spaß ohne Aufdringlichkeit, einfach eine rundum nette Sache, niveauvoller, als ich sie deutschen Fans zum Großteil unterstellen möchte. Mir hat es gestern ganz besonders für diese Fans leid getan, dass ausgerechnet ihr „Held“ sich dermaßen hat verleiten lassen, dermaßen die Kontrolle zu verlieren. Schade, ich habe gestern schon innerlich gerufen: Allez les bleus…

Die Zugfahrt war irgendwie die letzte Galgenfrist. Und irgendwie konnte man uns auch ansehen, dass unser Lachen nicht mehr so ganz ehrlich war. Es fiel mir schwerer, als ich es zugegeben würde.

Blut ist dicker als Wasser? Auch hier gilt wohl wie überall, dass es Ausnahmen gibt. Ohne meine liebe Schwäger-Schwester hätte ich die letzten Monate kaum überstanden. Sie war immer für mich da, ihr ist nichts zu viel, sie steht mir mit einer Selbstverständlichkeit zur Seite, geht tatsächlich mit mir durch Dick und Dünn. So war es für sie auch keine Frage, mich in dieser schweren Stunde nicht alleine zu lassen. „Fahren wir ein wenig Zug, ich hab am Samstag eh nichts besonderes vor“ oder so ähnlich waren wohl ihre Worte. Ja, sie ist immer bei mir, immer für mich da und versteht mich wohl mit sämtlichen meiner Gefühlsschwankungen, Ängste und Nöte wie es außer ihr nur ein einziger Mensch bis dato fähig war. @Ulli : Ich hab Dich lieb

Eisern an meiner Seite: Meine Schwägerin:



Unser Lächeln hat schon Kraft gekostet:



Am Flughafen blieb uns nun nicht mehr viel Zeit. Und ab sofort war ich dann auch nur noch Beobachter, während unser Kind sich unaufhaltsam ihren Weg ins eigene Leben bahnte. Die Gepäckaufgabe, ab sofort, musste sie solche Dinge alleine erledigen.



Eine kurze Galgenfrist bis zur Sicherheitskontrolle. Eine letzte viertel Stunde und der eiserne Wunsch, nicht zu weinen, das Kind nicht zu belasten. Was ein Quatsch! Wie lange kennt sie mich? Als ob sie nach 19 Jahren Zusammenleben nicht wüsste, dass ich heulen würde wie ein Schlosshund. Aber man kann sich’s ja trotzdem mal vornehmen, oder?

Aber was nutzen alle Vorsätze – warum hat man sie überhaupt? – wenn dann auf einmal das Kind, das gehen will, in unseren Armen liegt und weint? Besonders der Abschied von ihrer Tante hat mir fast das Herz rausgerissen, diese innige und lange Umarmung, die nicht nur ihrer Tante alleine, sondern, dessen bin ich mir sicher, stellvertretend ihrem Papa galt.

Und jetzt war der Augenblick gekommen, auf den ich mich seit Oktober vorbereitet hatte. Ich musste loslassen, musste aufhören, sie festzuhalten und zu küssen, musste zurückbleiben nur noch stummer Zuschauer, nur noch Beobachter in einer neuen Lebensphase unseres Kindes. Konnte nur noch hinterhersehen, wie sie abhob, einem neuen Leben entgegen, das ihr hoffentlich viele schöne und glückliche Momente bescheren, wunderbare Erfahrungen bereithalten und sie reifen und wachsen lässt, so wie sie aus den dunklen Stunden unseres Lebens gewachsen ist.



Mittlerweile ist Saskia bereits über eine Woche im Einsatz und sie scheint überglücklich zu sein. Sie schwärmt von ihrem Job, sie schwärmt von den Kindern, über deren Unterschiedlichkeit sie täglich erneut staunt (ja Saski, da kann man auch staunen) schwärmt von ihren Kollegen. Es scheint einfach alles so zu sein, wie sie es sich vorgestellt hat. Keine Sorge, meine Kleine, ich bin auf alles gefasst…

Ok das Trauertier hat sie auch schon befallen. Wundert es mich? Wie war das mit den glücklichen Momenten? Da geht es Hand in Hand mit Dir. Sie erzählte gestern von ihrer ersten „Oscar – Show“ die sie mit den Kleinen eingeübt hatte. Und sie sah ins Publikum, sah die stolzen Eltern, die ihre Mini-Stars beobachteten und fragte sich: Wann wird es euch treffen? Wird es einem von euch auch passieren? Oder dürft ihr zu den Glücklichen gehören, die Mama und Papa behalten dürfen, bis die Zeit zumindest „normal“ für den Abschied ist?

Wie gut, dass es niemand weiß. Wie schön, dass man glückliche Momente erleben darf und sich im Normalfall keine Gedanken machen muss. Wir durften lange Jahre diese Unbeschwertheit auch haben, glückliche Stunden, die heute unser kostbarer Schatz sind, unsere Erinnerungen, die uns niemand mehr nehmen kann.

Ich weiß nicht, ob das schon unter Werbung zählt. Aber hier arbeitet sie, vielleicht hat ja der ein oder andere noch keinen Urlaub gebucht und sucht noch eine nette Kinderanimateurin 

http://lastminute.weit-weg.de/Hotel/...l-Mallorca.cfm

Ach übrigens, mein Stern hat nicht geleuchtet an diesem Tag. Ich glaube, er ist beschäftigt. Er muss auf seine Tochter aufpassen, auf Mallorca. Saski, wenn Du traurig bist, schau in den Himmel, Dein Papa ist immer bei Dir, das weißt Du.

LG
Andrea
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Που να 'σαι τώρα που κρυώνω και φοβάμαι
και δεν επέστρεψες

Geändert von AndreaS (16.03.2007 um 22:25 Uhr)
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