AW: Stammtisch
Eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter, mein Rückruf und komisch, mein Gemurmel hat aufgehört.
Es war in unserem letzten Januar. Wir saßen in der Balkontür eine Zigarette rauchen – ja, wir passten zusammen rein. Es klemmte ein bißchen – aha – einer von uns Beiden hat ein wenig zugenommen. Und nachdem der Speck am Hintern sitzen muß – sonst hätte es nicht geklemmt – muß ich es wohl gewesen sein.
Trubelige Tage lagen hinter uns. Jürgen war wieder von der Klinik da, wir nahmen Anlauf für die Biomed. Sahen wir doch in der Biomed die Hoffnung für eine ansprechende Therapie bei Hirntumoren, waren doch die Bilder so hoffnungsvoll. Wie kamen wir darauf? Keine Ahnung. Jürgen sprach von seiner Sorge, daß er den Verstand verliert – es war nichts passiert. Keine Ahnung wie er darauf kam. Ich solle ihn in ein Hospiz geben, wenn es so weit wäre. Ich war empört, nein, ich gebe ihn nicht weg. Jürgen bleibt bei mir, hier. Er sagte nur zu mir, ich wüsste nicht wovon ich rede. Nein, ich wußte wirklich nicht wovon ich rede und doch habe ich es so gemacht.
Heute vor 2 Jahren ist meine Welt in Scherben geflogen, heute vor 2 Jahre konnte ich die Augen nicht mehr verschließen.
Ich war bei der Arbeit – wo sonst. Aus irgendeinem Grund rief ich Zuhause an. Jürgen ging nicht ans Telefon. Auch später ging er nicht ran. Tag der Wahrheit. Ich hatte bei der Arbeit Ärger, eigentlich schon eine ganze Weile. Offensichtlich habe ich schon eine ganze Weile das ausgestrahlt, was jetzt auf einmal nicht mehr zu verleugnen war. Ich meldete mich kurz bei meiner Chefin ab: Ich muß nach Haus, werde es später erklären – aber jetzt muß ich sofort nach Hause. Ich ging, suchte Jürgen. Mist, das Auto ist weg, wo steckt er nur. Rumtelefoniert, endlich auch beim Arzt angerufen. Er war bei Arzt, ich fuhr hinterher. Dort war er schon wieder weg. Ich wieder zurück nach Hause. Da war er. Er verstand meine Aufregung nicht. An diesem Tag ist er zuletzt mit seinem roten Flitzer gefahren.
Ich fuhr wieder zur Arbeit. Saß zitternd auf dem Stuhl bei meiner Chefin. Ich muß sofort aufhören zu Arbeiten, kann es nicht mehr verantworten Jürgen alleine Zuhause zu lassen. Ein paar Tage später erhielt ich meine Kündigung. Das Morgen hat mich nicht interessiert. Wichtig war nur das jetzt.
Ostern war früher in dem Jahr – es kam das lange Osterwochenende. Zeit für Jürgen, Zeit zu sehen…. Ich habe dann vielleicht noch 5 Tage gearbeitet. In der Zeit war meine Mutter bei Jürgen.
Als ich an meinem letzten Arbeitstag heimkam und zu ihm sagte: Ich bleibe jetzt hier, gehe nicht mehr arbeiten, laß dich nicht mehr allein. Sagte er nur „das ist gut“ – mehr nicht.
Es war eine kostbare Zeit. Nie zuvor war unser Leben so – ich weiß nicht. Nie zuvor habe ich nur für ihn gelebt, nie zuvor gab es nur ausschließlich ihn.
Und noch immer sitze ich in der Balkontür. Laß mir den Rücken von der warmen Heizungsluft wärmen und den kalten Wind um die Nase pfeifen. Mitunter landet die Zigarette halbgeraucht im Aschenbecher. So war das im anderen Leben nicht.
Bruni
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