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Alt 27.04.2003, 10:43
Gast
 
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Standard niere raus...tumor raus....was nun?????

Lieber Martin,
alles, was mich betrifft, kannst Du unter den Beiträgen von ULRIKE (meine Frau) wiederfinden.
Das ist meistens das, was die medizinische Seite betrifft. Sehr selten etwas, was mich, den Betroffenen angeht.
Nachdem ich vor fast genau einem Jahr meine Diagnose zu hören bekam, fiel ich erstmal in ein tiefes schwarzes Loch. Jedem, der an Depressionen leidet, genau bekannt. Man fühlt sich absolut allein, hilflos, hoffnungslos - ohne Perspektiven.
Und ich bekam dauernd zu hören, was ich doch "für ein Glück" gehabt hätte. Das Glück, daß man es rechtzeitig entdeckt hätte. Das Glück, daß es ein langsamwachsendes Zellkarzinom wäre. Das Glück ............. ich konnte diese Sch.... nicht mehr hören. Wo zum Teufel hatte ich Glück? ICH HATTE KREBS. Begreift Ihr das endlich. Ich hatte für nichts anderes mehr Platz in mir. Außer für diesen Gedanken. Und in drei Monaten war ich tot. Das war doch klar. Alle, die ich mal gekannt habe, die Krebs hatten, waren auch zwischenzeitlich tot. Also warum ich nicht?

In dieser Situtation war ich absolut nicht in der Lage, irgendeine Information unkritisch zu betrachten, oder kritisch zu betrachten, was die behandelnden Ärzte mir sagten, vorgeschlagen haben oder mir als Therapievorschlag anboten. Oder Untersuchungen, die man mir anbot oder empfahl oder nicht anbot.

Ich war medizinischer Laie. Ich hatte keine Ahnung. Von nichts. Außer: ICH habe Krebs.

Irgendwann erzählte mir Ulrike vom Krebskompass. Und ob ich da mal reinschauen wollte. Ich wußte, daß sie "Tag und Nacht" auf allen Wegen versuchte, Informationen über "meinen"Krebs" herauszufinden und über mögliche Therapiemöglichkeiten, über Risiken, über Chancen etc. etc. - das auch und sehr viel übers Internet.
Irgendwann habe ich ihr gesagt, sie soll mir doch einfach mal was ausdrucken. Mal konnte ich es lesen - mal war ich nicht dazu in der Lage.
Wer hat darüber zu entscheiden? ICH - der Patient. ICH habe das Recht, soviel Informationen zu bekommen, wie ICH es will. Und wann ich es will. Ihr lieben Angehörigen, nehmt bitte zur Kenntnis, das ich das, was ich heute nicht kann oder will, vielleicht morgen kann oder will (ohne, daß ich launisch bin. Aber vielleicht geht es mir morgen anders als heute). Und ich wäre stinksauer, wenn mir meine Frau irgendeine Information vorenthalten hätte, "um mich zu schonen". Irgendwann hat sie mir mal gesagt, "vielleicht wäre es besser gewesen, man hätte dir deine Diagnose nicht gesagt". Wahrscheinlich war das ein Zeitpunkt, wo ich selbst in dem "tiefen schwarzen Loch" saß und keinen an mich herangelassen habe, weil ich es selbst damit fertig werden mußte.
Aber ich war in dieser Zeit darauf angewiesen, daß jemand (in diesem Falle meine Frau Ulrike) "meine Arbeit" übernimmt: Informationen sammeln, auf Ärzte aufpassen, auf Pflegepersonal aufpassen, alles überprüfen, nichts unkritisch hinnehmen, auf dem neuesten Stand zu sein: Ganz einfach - rundum informiert zu sein, um mit Ärzten diskutieren zu können, über Alternativen mitreden zu können, Untersuchungen anzuregen, durchzusetzen und und und.
Und wenn Dein Vater Informationen haben will, sehe ich keinen Grund, sie ihm nicht zu geben. So Du sie denn hast. Und ich denke, er sollte die Entscheidung haben, was er davon für sich behält oder was er davon, wann auch immer, seiner Frau weitergibt. Das er dadurch in die Lage versetzt wird, überhaupt kompetent mit Ärzten und Pflegern über die Patienten zu reden, versteht sich nebenher von selbst.
Wenn ich mich damals nur auf die Meinung des ersten Arztes verlassen hätte, wäre ich heute Dialysepatient, seit mehr als einem halben Jahr. In der damaligen Zeit war ich nicht in der Lage, alles das zu tun, was ich oben beschrieben habe. Informationen einzuholen etc. - das hat "meine Krankenschwester", meine Frau, gemacht. Nur: Auch sie mußte erstmal wieder sich Informationen für einen speziellen Fall und das auf dem neuesten Stand der Technik beschaffen. Ohne sie, ohne ihr Suchen -auch hier im Krebsforum, wo sie restlos alles gelesen hat, was für sie informativ war- wäre ich wie gesagt heute ganz woanders.
Also, ich käme mir "entmündigt" vor, wenn meine Kinder mir Informationen, die mich und meine Krankheit betreffen, vorenthalten. Oder wenn meine Kinder meiner Frau solche Informationen vorenthalten, die ihren Mann betreffen. Auch wir senilen Alten dürfen m.E. selbst entscheiden, was sie an Informationen vertragen und was nicht.

Grundsätzlich gibt es noch ein Thema, was zwar hier nicht angesprochen war, was mir aber am Herzen liegt:

Liebe Angehörige. Ich brauche euch alle, um mir Informationen zu beschaffen. Einen Rat kann mir keiner geben. Tips und Hinweise ja. Entscheiden kann letztendlich nur einer: ICH. Manchmal kann ich mich nicht entscheiden. Noch nicht. Dann brauche ich vielleicht nur noch mehr Informationen von/über euch. Vielleicht kann ich mich dann morgen entscheiden.
Nehmt das bitte einfach hin. Auch die Entscheidung, egal wie sie ausfällt. Von euch kann sich keiner in mich hineinversetzen.

Am Anfang bekam ich schlaue Bücher zum Lesen. Lens Armstrong - ein Radrennfahrer - hatte den Krebs "besiegt" - die Tour de France danach gewonnen.

Und ich? Ich VERSAGER - ich lag da in meinem Bett und glaubte, bald sterben zu müssen. Ich war ein Versager. Weil ich nicht den Krebs besiegen konnte - wollte. Nicht kämpfen konnte, wie es jeder von mir erwartete. Kämpfen? Gegen wen? Gegen was? Ich hatte keinen Feind. Der Tumor war Teil meines Körpers. Sollte ich meinen Körper bekämpfen? DAS war mein Problem. Aber andere hatten ja nur Dank ihres Willens den Krebs besiegt. Nur ich Versager nicht.

Wie man sehen kann, bin ich heute kein Versager mehr, in meinen Augen. Ich habe mich meinen Problemen gestellt und mit der Zeit "meinen Weg" gefunden. Und den gehe ich. Ob ich gesund bin? Weiss ich nicht. Morgen ist wieder mal "Stunde der Wahrheit". Und natürlich habe ich Angst vor dem MRT. Und wenn ich heulen muß, dann heule ich. Und wenn es mir gut geht, dann lasse ich es mir gutgehen. Dann will ich Egoist sein, nur an mich denken. (und an liebe Menschen mit mir)

Ich habe eine lange Zeit gebraucht (fast ein halbes Jahr), um meinen Weg zu finden. Seid bitte nicht zu ungeduldig mit uns Patienten, wenn wir "nicht gleich wissen, was wir wollen und was gut für uns ist".


Ich bitte um Verständnis
Jürgen
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