Thema: Stammtisch
Einzelnen Beitrag anzeigen
  #1161  
Alt 09.05.2007, 07:07
Blue Blue ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 18.09.2005
Beiträge: 193
Standard AW: Stammtisch

Klar weiß ich, was gestern für ein Tag war und trotzdem bin ich voller Energie. Ja, Liebes, ich habe mich wohl unbewusst wieder ausgetrickst und gestern Abend fiel es mir auf. Falle doch immer wieder in die gleichen Verhaltensweisen zurück, so wohl auch gestern.

Montag hatte ich einen richtig guten Arbeitstag, genügend Arbeit von Morgens bis um 4 – wie lange war das nicht mehr der Fall? Ich hab munter vor mich hingewurschtelt, mich nicht beirren lassen und auf dumme Bemerkungen stets die richtige Antwort gehabt – und noch keinen Vorsatz für heute.

Gestern nun, ab 9.30 keine Arbeit mehr und eigentlich nur rumtreiben im Internet, Gedankenlos oder –voll zum Fenster rausgeschaut und auf einmal kam mir die Idee mit dem Herd. „Nütze die Zeit“ tickte es in mir, tja, die Kurzarbeit. Jetzt kann ich es so kompliziert machen, wie ich es möchte – mit viel Zeit. Nicht nur nebenbei.

Bei meiner Mutter mal wieder ein leidiges Thema geklärt, mit den hoffentlich richtigen Worten. Hat sie nun endlich verstanden, daß ich die Pflanzen für Jürgen selbst kaufen möchte? Hat sie jetzt verstanden, daß ich mir manche Dinge selbst kaufen möchte? Hat sie jetzt verstanden, daß ich meine Entscheidungen für mich alleine treffe? Es hat sich zumindest so angefühlt. Die Zeit wird es bringen.

Schnell hier her gedüst, Fotos vom Herd gemacht (clever – oder?) dann zum „Kücheneinrichter“. Der Verkäufer (und noch dazu der Chef) war nicht sehr freundlich, er kam mir eher gelangweilt vor. Und dann die blöden Fragen von mir. Tsss! Habe ich mir jetzt nicht so teuer vorgestellt – aber vielleicht habe ich mir da tatsächlich den teuersten ausgesucht. Aber? Ich nehme nie den einfachen Weg und ich hab ja die Zeit, um es kompliziert zu machen und noch ein bißchen weiter zu nerven.

Wieder hier her, Herbert kam. Ja, Herbert. Mit ihm „weißt du noch“ auszutauschen hat nicht viel Sinn. Wir haben wenig zusammen erlebt. Er war mit Jürgen bei der Bundeswehr und dort haben sich die Beiden nicht immer gut verstanden. Seine Erinnerungen mit Jürgen hat er mir an der Beerdigung erzählt. Ich saß da, hatte tellergroße Augen und traute meinen Ohren nicht.

Der eigentliche Grund war schnell abgehandelt und so haben wir uns unterhalten. Über das Leben … Es war gestern schwierig darüber zu reden und doch hatte ich den Eindruck davon erzählen zu müssen. Von den komischen Dingen vor der Pflegezeit um für die Pflegezeit gerüstet zu sein. Nein, eine Einladung für ein Seminar über Patientenverfügung und Versorgungsvollmacht brauche ich ganz sicher nicht.

Der Mai. Ja, hängt viel dran. Im Mai 2004 mußte Jürgen seinen Führerschein für 4 Wochen abgeben – zu schnell gefahren. Hätten wir gewusst, daß es der letzte unbeschwerte Mai ist, hätten wir das anders gemacht. Es wäre der letzte Monat gewesen, in dem Jürgen noch „unbeschwert“ Autofahren hätte können. Dann haben sich die Ereignisse überstürzt. Kontrolle in der Klinik „da tut sich was – Bestrahlung“, anschließend Temodal-Chemo – nix geholfen, dann ACNU, diese Chemo abgebrochen und dafür Biomed in Bergzabern mit der ganzen Hoffnung die in uns war.

Der nächste Mai war schon mitten in der Pflegezeit. Am 08.05.2005 hatte ich endlich den Pfarrer erreicht, ich hatte Jürgen gefragt, ob er möchte, daß der Pfarrer ihn besucht. Endlich hatte ich ihn erreicht. Er rief Abends zurück, erklärte mir, daß er auf dem Kirchentag war und wenn es eilig wäre, würde er sofort kommen. Warum und wieso ich so reagierte, wie ich reagierte? Ich weiß es nicht. Ich sagte ganz ruhig, nein, morgen reicht vollkommen aus. Anschließend lag ich lange wach, hörte auf Jürgens Atemzüge und dachte mir: was wenn es jetzt passiert und ich habe nicht auf den Pfarrer bestanden.

Tja, er kam am nächsten Tag. Jürgen hatte davor einen fokalen Anfall und hatte eine Tavor bekommen. Angelika versicherte mir immer und immer wieder, daß es Jürgen mitbekommen hätte – ab diesem Tag brannte Tag und Nacht eine Kerze. Es ging mir eine ganze Weile richtig schlecht, ich hatte so richtig einen Rappel.

Jetzt 2 Jahre später. Nein, ich möchte keinen Sinn darin finden. Für mich ist es in Ordnung, daß ich jetzt so voller Energie stecke und ich weiß es kann sich schnell wieder ändern und die Talfahrt beginnt von vorne.

Liebe Mjo,

genau das ist mir vor 2 Wochen passiert. Ich wollte mich fertig machen, stehe unter der Dusche und auf einmal pochte es in mir, nee, das will ich jetzt wirklich nicht. Viel lieber möchte ich mich einkuscheln, hier bleiben, meine Ruhe haben. Und diese Freiheit habe ich mir genommen und es hat sich in genau diesem Moment „richtig“ angefühlt. Sicher habe ich es dann ein paar Tage später erklärt, wirklich verstanden worden bin ich nicht, aber das macht nichts.

Liebe Andrea,

ich kann mich Anemone nur anschließen. Es ist ein guter Text und wir sollten ihn uns alle ausdrucken und an den Spiegel hängen. Und auch Deiner Frage nach Paul schließe ich mich an und schicke an dieser Stelle einen Gruß dorthin.

Kommt alle gut durch den Tag und lasst Euch nicht hetzen.

Bruni
Mit Zitat antworten