Einzelnen Beitrag anzeigen
  #2  
Alt 23.05.2007, 15:32
esneault esneault ist offline
Gesperrt
 
Registriert seit: 27.10.2006
Ort: Vorderpfalz
Beiträge: 64
Standard AW: Erfahrung Nierenzellenkarzinom

Hallo Bella82,
die Behauptung der Ärzte, dass bei Deinem Vater keine Chance mehr auf eine Heilung besteht, ist nach meiner Meinung unverantwortlich. Ich gehe davon aus, dass nicht nur der Tumor, sondern die ganze Niere entfernt wurde. Nach der OP können also keine neuen Metastasen mehr durch den Primärtumor entstehen. Wie wird man nun am besten mit den bestehenden Metastasen fertig?
Auf diese Frage gibt es keine allgemein gültige Antwort, ich kann hier nur schildern, wie ich bis jetzt mit diesem Problem umgegangen bin. Bei mir wurde im Mai 2005 die rechte Niere mitsamt 2 befallenen lokalen Lymphknoten entfernt. Auch bei mir war die Diagnose „Nierentumor“ ein Zufallsbefund, der im Planungs-ct für die Strahlentherapie meiner Prostata sichtbar wurde. Ein Jahr nach der OP tauchten Fernmetastasen auf und zwar in Form eines wachsenden Lymphknotens ganz in der Nähe des linken Nierenstiels und von einigen Rundherden in beiden Lungenflügeln. Das Skelett war nicht befallen. Die Ratschläge der konsultierten Ärzte:
Der 1. Klinik-Urologe (Operateur):
OP kommt nicht in Frage, da die Erkrankung systemisch ist. Sein Vorschlag war eine Hochdosis-Immuntherapie mit Interleukin-2, Interferon-alpha und 5-FU in Kombination. Bemerkung: Zu diesem Zeitpunkt waren Sutent und Nexavar noch nicht zugelassen. Als unverantwortlich empfand ich seine Empfehlung, auf die Strahlentherapie der Prostata zu verzichten, da ich mit Sicherheit am Nierezellkarzinom und nicht am Prostatakarzinom sterben werde und zwar wahrscheinlich innerhalb der nächsten 14 Monate.
Der niedergelassene Urologe:
Die Hochdosis-Immuntherapie ist zu belastend. Er empfahl mir Nexavar, was auf einer urologischen Fachtagung als das Medikament der 1. Wahl empfohlen wurde. Die Forderung der Krankenkassen an die Ärzte, Nexavar nur dann zu verschreiben, wenn der Patient die Hochdosis-Immuntherapie nicht verträgt, wäre bei mir kein Hindernis.
Der 1. Thorax-Chirurg
Immuntherapien bringen nicht viel und mit Nexavar hat man zu wenig Erfahrung. Er hat mir sofort einen OP-Termin zur Beseitigung der 8 im ct sichtbaren Rundherde gegeben. Was mich irritierte: Dem Lymphknoten am linken Nierenstiel schenkte er keine Beachtung und auf meine Frage, ob nach der OP wieder Rundherde in der Lunge auftreten könnten, beantwortete er mit ja und der Bemerkung, dass er Patienten schon 3 bis 4 mal an Lungenmetastasen operiert hätte.
Der 2. Thorax-Chirurg
Dieser wollte mir den Lymphknoten und die Lungenmetastasen „in einem Abwasch“, das heißt in einer einzigen Narkose in Zusammenarbeit mit einem Chirurgen entfernen. Mein Sohn, der selbst Chirurg ist, hat mir von dieser Prozedur jedoch dringend abgeraten.
Der 3. Thoraxchirurg
Die operative Entfernung der Rundherde ist technisch kein Problem. Vordringlich sei jedoch die Entfernung des Lymphknotens.
Der 2. und 3. Klinik-Urologe
Der 2. Klinik-Urologe lehnte die operative Entfernung des Lymphknotens strikt ab, weil die OP viel zu riskant sei und die Gefahr bestünde, lebenslang dialysepflichtig zu werden.
Für den 3. Klinik-Urologen war die OP überhaupt kein Problem. Die Lymphdrüsenmetastase bin ich kurz vor Weihnachten losgeworden.
Bemerkung: Auch ich habe Herzrhythmus-Störungen, was für eine OP-Fähigkeit jedoch ohne große Bedeutung zu sein scheint. Ich habe beide Operationen sehr gut überstanden.
Der 3. Thorax-Chirurg
Im Oktober 2006 waren 8 Rundherde in der Lunge zu sehen, im März 2007 (also nach der Lymphknoten-OP) sind 15 Herde im Millimeter-Bereich hinzugekommen. Der Chirurg wollte erst operieren, wenn das Wachstum zum Stillstand gekommen ist. Dies wollte er mit Nexavar oder Sutent erreichen. Mein Sohn hat jedoch vom Leiter einer Nexavar-Studie erfahren, dass durch Nexavar die Tumore derart in der Konsistenz verändert werden (sie werden weich), dass sie bei einer evtl. notwendigen OP schlecht vom Normalgewebe unterschieden werden können.
Das interdisziplinäre Tumorzentrum
Hier habe ich endlich die richtigen Berater gefunden: Ein Team bestehend aus einem Onkologen, einem Thorax-Chirurg und einem Internisten für Thorax-Onkologie. Deren übereinstimmende Meinung war, dass ich wegen des langsamen Wachstums (die Durchmesser der Rundherde verdoppeln sich alle 9 Monate) genügend Zeit habe, die Metastasen-Entwicklung auch ohne die Einnahme von Sutent oder Nexavar gefahrlos zu beobachten. Wenn keine neuen Metastasen mehr sichtbar werden, sei eine OP sehr Erfolg versprechend. Technisch sei die OP überhaupt kein Problem.
Gestern habe ich ein neues Thorax-ct anfertigen lassen mit dem Ergebnis, dass in den letzten 3 Monaten keine neuen Rundherde in der Lunge hinzugekommen sind.
Jetzt wird das Team das weitere Vorgehen festlegen: Sofortige OP oder weiter beobachten.

FAZIT: Weil ich alle Ratschläge sehr kritisch hinterfragt und nur diejenigen befolgt habe, bei denen ich ein gutes Gefühl hatte, geht es mir bis heute, also 2 Jahre nach der Nieren-OP, sehr gut. Ich habe übrigens ½ Jahr nach der Nieren-OP mein Prostatakarzinom mit einer Strahlentherapie behandeln lassen und gelte in dieser Beziehung als geheilt. Wenn ich auf den 1. Klinik-Urologen gehört hätte, hätte ich heute mit 2 Problemen zu kämpfen. Wenn ich dem 1.Thorax-Chirurg gefolgt wäre, wäre jetzt schon die zweite Lungen-OP fällig. Wenn ich auf den niedergelassenen Urologen gehört und Nexavar genommen hätte, wäre es mir wegen der Nebenwirkungen in den letzten 7 Monaten vermutlich schlecht gegangen und das Medikament hätte wahrscheinlich schon jetzt an Wirksamkeit verloren. Bis jetzt habe ich jedenfalls ohne Beschwerden gut gelebt und ich hoffe, nach ein oder zwei OP´s von Metastasen befreit zu sein. Wenn nicht, werde ich auf jeden Fall Zeit gewinnen und bis zum Auftreten neuer Metastasen ist vielleicht ein wirksames Antikörper-Präparat auf dem Markt.
Mit diesen Zeilen möchte ich Deinem Vater Hoffnung machen. Auf keinen Fall aufgeben und sich nicht gleich ins Boxhorn jagen lassen!

Mit den besten Grüßen
Esneault
Mit Zitat antworten