Einzelnen Beitrag anzeigen
  #3  
Alt 10.06.2007, 15:56
stef777 stef777 ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 26.12.2006
Beiträge: 175
Standard AW: Sterbebegleitung

liebe umka,

mein vater ist anfang januar 07 an BDSK gestorben, 1.5 jahre nach der diagnose. in den letzten 4 monaten seines lebens ging es stetig bergab, erst von monat zu monat, dann von woche auf woche, dann von tag auf tag, der zeitraffer wurde immer schneller.
es war so schwer, dies alles zu begreifen; das begreife ich jetzt erst (ähnlich wie du). in der zeit damals dachte ich oft "das schaffen wir schon irgendwie". man verdrängt oft, wo man verdrängen kann, weils sonst das leid nicht auszuhalten ist.

vieles, was du schreibst, kommt mir bekannt vor. ich habe auch mit den letzten tagen meines vaters und auch mit dem allerletzten sehr zu kämpfen. ich hatte noch nie im leben zuvor solche schuldgefühle gehabt. mein vater war die letzten 2 Tage seines lebens zu hause; nachdem mit seinem versterben zu rechnen war, hatten wir ihn noch aus dem krankenhaus holen können, weil wir ihn gerne zu hause sterben lassen wollten.
davor waren meine schwester, mutter und ich rund um die uhr bei ihm gewesen, haben uns mit den schichten abgewechselt, auch nachts war immer jemand bei ihm, weil er sehr, sehr unruhig war nachts und nie richtig geschlafen hat.
die letzten 1.5 tage waren schrecklich. mein vater hat permanent erbrochen im schlaf, wurde nie richtig wach, auch wenn wir versucht haben, seinen mund auszuspülen. paar seiner gliedmassen waren gelähmt, er konnte schon seit 1.5 wochen nichts mehr essen und trinken, wurde nur über die vene versorgt. ich habe mich total überfordert gefühlt. war fix und fertig; hatte magen-darm beschwerden, konnte selbst nur noch zwieback essen. im krankenhaus waren ständig "abschiedsbesucher" gekommen, die meinem vater was vorgeheult haben (mein vater konnte tränen nie ertragen). ich habe die ganze zeit versucht, fassung zu bewahren und mich für meinen papa zusammenzureissen. zwischendurch konnte ich zum glück noch ein paar persönliche "abschiedsmomente" mit meinem vater haben. das war sehr schwer, hat mich viel überwindung gekostet. aber ich bin natürlich froh, dass ich diese momente mit ihm hatte, auch wenn ich ihm gerne noch viel mehr gesagt hätte.

ich schreibe das alles nur, weil ich mir auch viel gedanken darüber gemacht habe, warum ich in seinen letzten stunden nicht bei ihm war (mein mann war bei ihm; er hatte die nachtschicht zum ersten mal übernommen). ich habe ihn zum letzten mal um 1h morgens lebend gesehen, mein mann hatte mich gerufen, weil seine atmung unregelmässig war; er starb um 5.50h.
heute, wo ich wieder bei kräften bin, denke ich, ich hätte jeden funken kraft geben müssen, um bei ihm zu bleiben; aber damals war ich einfach fix und fertig; ich konnte nicht mehr, weder körperlich, noch seelisch. auf der einen seite wollte ich, dass er stirbt, damit das leiden ein ende hätte; gleichzeitig wollte ich es natürlich nicht. als ich um 1h nachts in seine augen blickte, war er ganz ruhig; schaute mich ganz ruhig an. das wird mir ewig in erinnerung bleiben. trotzdem wurde mir sofort schlecht und ich wollte wieder in mein bett.
ich hätte ahnen können, dass es bald soweit ist, aber ich konnte und wollte wohl nicht.

ich denke wie du, dass damals die kraft einfach nicht reichte. und verdrängt habe ich z.T. auch, zum selbstschutz.

ich tröste mich mit dem gedanken, dass es meinem vater so vielleicht einfacher gefallen ist zu gehen. Und dass wir einige abschiedsmomente davor hatten. Und: letztendlich denke ich, ist man selbst tief im innern in solchen momenten nie bereit, den geliebten menschen wirklich gehen zu lassen, weil man den menschen ja nicht verlieren möchte. D.h. einem selbst hilft es vielleicht nicht so sehr, im sterbemoment da zu sein und dem sterbenden kann es auch nur eingeschränkt helfen, da jeder den weg alleine gehen muss (und ich glaube, es benötigt wohl auch viel ruhe und konzentration zu gehen). ich denke manchmal auch, vielleicht wäre ich viel zu panisch gewesen in den letzten stunden meines vaters und hätte es ihm so umso schwerer gemacht.
das kann auch alles falsch sein, was ich hier gerade schreibe. man macht sich halt so allerhand gedanken.

ich denke, wir haben getan, was wir _konnten_ in der entsprechenden situation. wenn wir mehr energiereserven gehabt hätten, hätten wir mehr tun können. es ist verhältnismässig leicht, dies aus der heutigen sicht, monate danach festzustellen.
man muss das anerkennen, was man getan hat; und du scheinst
alles gegeben zu haben: die pflege deines mannes, die kinder und noch den beruf nebenher....! und sich selbst für das verzeihen, was man nicht mehr tun konnte. kein mensch ist perfekt und hat unendliche kräfte. es ist schön, dass du dich so liebevoll von deinem mann verabschieden konntest, und er das auch noch mitbekam...das muss ein gewisser trost sein, oder?

aber der schmerz sitzt sehr tief (mir geht es momentan auch nicht so gut); ich habe meinen vater über alles geliebt. für mich war er auch ein wunderschöner mann bis zu seinem tod. ich kann auch bis heute oft nicht begreifen, dass er einfach nicht mehr existiert.

liebe grüße
stef.
Mit Zitat antworten