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Alt 20.07.2007, 14:20
Anemone Anemone ist offline
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Standard AW: Bin durch einen lieben Freund auf eine Idee gebracht worden

Hallo alle zusammen,
ja, man kommt sich manchmal wirklich "verrückt" vor. Aber sind wir das nicht ? Verrückt im Sinne von "rausgerückt" aus dem Leben, das uns lieb gewesen ist. Nichts ist mehr so wie es sein sollte. Das Recht, "verückt" zu sein, steht uns jetzt einfach zu. Irgendwann werden wir wahrscheinlich wieder einwurzeln in dem neuen Leben.
Stark sollen wir jetzt sein. Warum eigentlich? Kurz nachdem mein Schatz die Diagnose seiner unheilbaren Krankheit hatte, suchte ich Hilfe bei einem Psychotherapeuten, weil ich einfach nicht klar kam mit meiner Angst um meinen Mann, um mich, unsere Zukunft. Nach drei Sitzungen erklärte mir dieser Spezialist, dass ich ihn eigentlich gar nicht brauche, ich sei so eine starke Frau, die gewiss mit diesem Schicksalsschlag gut umgehen kann.
Nee, ich brauchte ihn wirklich nicht mehr. Hat er denn nicht gemerkt, wie schwach ich war??
Gut, er hatte schon auch Recht, denn ich habe es ja geschafft, meinem Mann beizustehen, ihn zu jeder Chemo, Punktion und sonstigen Behandlungen zu begleiten, bei ihm zu sein, als er starb und, und, und. Aber stark ?? Nein, nicht wirklich. Auch in der Zeit meiner Trauer bin ich nicht stark.
Ich denke, unsere Umwelt hat das gern, wenn wir stark sind. Eine starke Frau, die dazu sogar noch ein Lächeln auf ihr trauerndes Gesicht zaubert, ist nun mal leichter zu ertragen als eine, der man ihre Schwäche und Verletzlichkeit schon ansieht. Aber trotzdem mag ich nicht mehr hören, dass ich ja sooo eine starke Frau bin.
Ich fühl mich schwach und elend, wenn ich abends alleine zu Hause sitze, wenn ich an seinem Grab stehe, wenn ich rund um mich herum Paare sehe in meinem Alter, wenn ich auf einer Reise etwas besonders Schönes sehe und denke: das hätte ihm jetzt auch gefallen... und bei vielen anderen Gelegenheiten.
Ich habe noch nicht die Kraft gefunden für neue Freundschaften. Im Trauer-Gesprächskreis, an dem ich teilnehme, hat das auch noch nicht geklappt. Wir unterhalten uns zwar nett, reden von unseren Problemen, aber zu mehr hats noch nicht gereicht. Vielleicht braucht man einfach eine Menge Geduld mit sich selbst bis man wieder auf jemanden zugehen kann - was mir früher nie schwer gefallen ist.
Hatte heute früh ein Erlebnis, was mich sehr nachdenklich gemacht hat: Gespräch an der Kasse in einem Laden. Die Kassiererin zu einer Kundin: "Ab 1. August bin ich in Rente." Kundin: "Ach, wie schön für Sie! Nicht mehr früh aufstehen müssen, Zeit für Hobbies und Nichtstun." Kassiererin: "Eigentlich will ich das gar nicht, ich stell es mir schlimm vor, den ganzen Tag mit meinem Mann zusammen! Wir werden uns bestimmt nur auf die Nerven gehen." Kundin: "Ja, meiner nervt auch ab und ganz gewaltíg, kommt manchmal so leise in die Küche geschlichen, ich frag ihn dann immer, ob er mich vielleicht kontrollieren will?"
Am liebsten hätte ich dazwischen gerufen: Genießt es doch einfach, wenn euch euere Männer nerven. Ihr habt sie noch. Wie gerne würde ich mich nochmal nerven lassen...
Ich grüße Euch alle zusammen ganz lieb, schicke Euch einen Knuddler und wünsche Euch, dass Ihr gut durchs Wochenende kommt - vielleicht mit ein bißchen Sonne innendrin und viel Sonne draußen.

Anemone
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