AW: Stammtisch
Liebe Andrea,
bei mir kommt jedes Deiner Worte klar und deutlich an. Ja, Du bist zum Geburtstag Deines Vaters, hattest die Maske an und es rumste in Dir – ohne Unterlaß. Ja, sicher kann man die Frage stellen, warum tust Du Dir das an? Ich weiß warum, mache ich es doch oft genauso. Die Maske sitzt perfekt, kein Mensch sieht, fühlt was in Dir los ist. Wie war das? Die Menschen kann man nicht verändern! Ist das ein Trost? Manchmal ja, oft sicher nicht. Der Tag ist vorbei, heute nun ein neuer Tag. Es ist wie es ist.
Der Tag zieht auf, draußen liegt Schnee, es ist kalt, Schornsteine rauchen. Ich mag diese Zeit, sitze vor der Kiste hier, klar, stubbelig, der Kaffee dampft , Wollsocken an und meine Gedanken gehen auf die Reise.
Liebe Annette,
ja, auch ich hatte im letzten Herbst so ein Herz. War schwierig aus dieser Sackgasse wieder rauszukommen (und für mich hat es sich wie eine Sackgasse angefühlt) und ich habe sehr, sehr lange dafür gebraucht. Nun mit Abstand werde ich sicher nicht sagen, es ist ok – das ist es nämlich nicht. Aber es lag eine Hoffnung darin, wieder fühlen zu können. Es war für mich zu früh, die Umstände zu schwierig. Nur um das alles erkennen zu können, braucht man viel Zeit und irgendwann ist das Päckchen geschnürt. Endlich fühlte ich mich nicht mehr als Versager, nicht mehr in Frage gestellt, endlich fühlte ich mich wieder „richtig“.
Liebe Andrea M.,
doch der Zettel mit den Pralinen hängt an meinem Spiegel. Die Veränderung ist nun eingetreten, mein Kollege in den Ruhestand verabschiedet und ich sitze hier mit einer E-Mail von ihm – der Tag danach. Es wird Morgen eigenartig sein, es wird wohl das ganze Jahr noch eigenartig sein. Aber ja, wir werden weiterhin Kontakt haben.
Lieber Gärtner,
ich darf das jetzt. Komisch, das genau dieser Satz oftmals nicht richtig verstanden wird. Wie kam es zu meinem „ich darf das jetzt“? Mein Leben war mit dem Tod von Jürgen einfach weg – die letzten Wochen und Monate habe ich eigentlich nur für ihn gelebt. Habe nicht rechts oder links geschaut, nur auf Jürgen. Und dann war Jürgen nicht mehr da, mein Lebensmittelpunkt einfach weg. Da kam das „ich darf das jetzt“ zustande – ich hätte auch sagen können „ich muß das jetzt“ aber eigentlich muß ich überhaupt nix mehr. Also dann doch besser, ich darf das jetzt. In einem Moment lachend in die Welt zu schauen, einen Wimpernschlag später in Tränen aufgelöst da sitzen. Das „ich darf das jetzt“ ist nie, nie egoistisch gemeint und schließt nicht ein, daß ich böse oder ungerecht zu Mitmenschen bin, meine Umgebung bewusst verletzte. Nein. Ich kann mich einigeln und nicht vor die Tür gehen – es kränkt niemandem. Ich kann Tage lang um die Häuser ziehen – auch das kränkt niemanden.
Es hat nichts mit Trotzigkeit, nichts mit Bockigkeit zu tun, das „ich darf das jetzt“. Oftmals gibt es mir den Mut einen ungewissen Weg zu geben, eben weil da niemand ist. Menschen die in meinem Herzen sind, Menschen die mit mir ein Stückchen Weg gegangen sind, diese Menschen wissen, daß es niemals böse gemeint war. Vielleicht wird das im Alltagstrubel vergessen und auf einmal wird dieser Spruch ein Bumerang für mich. Diese Worte habe ich erstmal wenige Tag nach Jürgens Tod gedacht, diese Worte haben mich verrückte Sachen machen lassen, Dank dieser Worte ging es mir nicht immer gut. Was nur ist daran so schwer zu verstehen?
Und doch, es broddelt in mir, noch nicht ganz klar. Egal was meine Pralinenschachtel mir zuteilt, ich darf auch ohne Partner leben und mich dabei wohlfühlen. Und genauso darf ich vielleicht irgendwann einmal mein Herz ganz und gar verschenken. Egal welche Richtung, egal was mein Leben mir bringt – ein neuer Partner wird nicht für mein Lebensglück zuständig sein, denn das liegt ganz alleine in mir.
So, und jetzt gehe ich frühstücken und anschließen verkrümmle ich mich wieder in mein Bett. Denn, auch das darf – das durfte ich immer – aber jetzt erst recht.
Einen schönen Sonntag Euch allen. Sollte irgendetwas zu wirr, zu konfus sein, so erkläre ich es gerne, vielleicht nicht heute, vielleicht nicht morgen, aber dann…
Bruni
|