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Alt 29.11.2007, 18:17
Gabriele M. Gabriele M. ist offline
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Standard AW: Die Hilflosigkeit ist so groß

Hallo Markus,

ja, es hört sich leider alles genau so an wie bei meiner Mutti. Nur die Wassereinlagerungen hat sie nicht.
Mutti wird auch jeden Tag schwächer. Sie nimmt nicht mehr teil an der Umwelt. Als ich heute da war habe ich ihr einige nette Kleinigkeiten erzählen wollen - sie hat mir zu verstehen gegeben, dass sie das nicht möchte. Möchte nichts mehr von ihrem Hund, dem Urenkelchen oder sonstigen Dingen hören. Nur als ich fragte, ob sie denn die Haare gewaschen bekommen möchte, machte sie die Augen auf und sah mich an. Ich sagte ihr dann "Mutti ich hab dich noch nie mit so angeklatschten Haaren gesehen". Sie sagte darauf hin ganz leise - ja, können wir machen. Leider haben erst die Schwestern keine Zeit gehabt dann musste gehen, da ich heute Spätschicht habe. Und allein traue ich mich nicht ihr die Haare zu waschen. Hoffentlich geht es Mutti morgen wenigstens so gut, dass wir ihr die Haare waschen können. Ich möchte, dass sie trotz ihrer Krankheit und Schwäche das bisschen Würde behält und ich glaube verstanden zu haben, dass sie mir dafür auch dankbar ist.
Nach der Visite, die ich tränenübeströmt verlassen habe, kam der Doktor noch einmal zu mir. Er sagte, dass Mutti jetzt mit jedem Tag schwächer werden wird. Es wird nicht mehr sehr lange dauern, da wird ihr Körper die Lebensfunktionen einstellen. Mutti drängelt sich aber nicht vor, so dass es noch ein paar Tage dauern wird. Wir haben in 2 Wochen Weihnachtsfeier - bei uns ist in den letzten 2 Jahren zu jeder Betriebsfeier, egal ob von unserer Firma oder der meines Mannes, immer etwas vorgefallen. Krankenhausaufenthalte, OP's, Beerdigungen - also kann ich fast ausrechnen, wann es soweit sein wird.
Der Doktor hat sich auch sehr viel Zeit für ein Gespräch mit mir genommen. Ich habe viel Fragen an ihn gehabt und er ist ein geduldiger Zuhörer und durch seine jahrelange Tätigkeit auf der Palliativstation konnte er mir viele Fragen beantworten.
Für Mutti sind alltägliche Dinge nicht mehr wichtig. Es strengt sie nur an zuzuhören. Durch die Medikamente und die Magensonde ist ihr Mund trocken und der Hals wund. Dadurch kann sie sich nicht mehr mitteilen. Also liegt sie nur noch in einer Art Dämmerzustand zwischen den Welten und geht einen Weg, der uns allen bestimmt ist. Es tut weh, sie so da liegen zu sehen und ihr nicht helfen zu können, es zerreist mir das Herz, treibt mir immer wieder die Tränen in die Augen und der Kloß im Hals nimmt mir die Luft zum Atmen. Ich traue mich kaum noch sie anzufassen, so zerbrechlich wirkt sie.
Wenn ich dann allein bin falle ich sehr oft in eine Hilflosigkeit, die ich kaum beschreiben kann. Ständig kommen mir Erinnerungen, Gedanken, dass es nicht mehr so sein wird wie es mal war, dass viele Situationen sich nicht mehr wiederholen werden, Rituale nicht mehr existieren. Ich muss mich dann jedesmal wieder zusammenreißen. Mutti ist noch nicht tod und ich denke schon in der Vergangenheit. Ist dass das was man Abschied nehmen nennt? Loslassen und dem anderen den Frieden gönnen?

Gabi
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