[AndreaS]

Lieber Siegfried,

ich will dir verraten, was ich gemacht habe, hin und wieder heute noch mache. Ähnlich wie ein Tagebuch: Ich habe Claus geschrieben, oder eigentlich habe ich mit ihm gesprochen. Ich habe runtergeklappert, was mich belastet, habe mich wie sonst auch bei ihm ausgeheult, habe formuliert, ihm meine Seele offengelegt und meistens habe ich tatsächlich meine Antwort erhalten. Ja, es war Päckchen schnüren und während ich formuliert habe, hatte ich häufig das Gefühl seine Antwort zu erhalten: Mach es so oder so. Durch das "Gespräch" mit meinem Mann wurde mein Kopf wieder klar und so hilft er mir noch heute, wenn ich nicht mehr weiter weiß. Er ist mir dann so nah, so ausschließlich drehen sich meine Gedanken um ihn und mit ihm. Vielleicht hilft dir deine Karin auf diesem Weg ja auch.

Liebe Illy, du schreibst, ich habe es geschafft. Was hab ich geschafft? Nein, ich habe es nicht geschafft, werde es auch glaube ich niemals schaffen. Es ist ein Trugschluss zu glauben, neuer Partner und alles ist wieder gut. Ich habe ein neues Glück gefunden, eine neue Liebe und eine neue Aufgabe in diesem Leben. Was damit nicht verschwunden ist, ist der Schmerz um den Verlust meines geliebten Mannes. Ich vermisse ihn tagtäglich, meine Kinder vermissen ihn und mein geliebter Freund im ungewollten neuen Leben muss damit leben. Ich weiß nicht, ob es ihm immer gut geht damit. Und mir geht es auch nicht immer gut. Es ist ein Lernprozess, tagtäglich neu. Wieso darf ich dieses Glück (und es ist ein Riesenglück der Mann an meiner Seite) erleben, und Claus musste sterben. Seine Kinder, Abitur, seine zweite Tochter in diesem Jahr, Studium, Plattenaufnahmen, all diese Momente des Glücks, und er ist nicht mehr da. Die Frage des Verrats wurde hier gestellt. Ja, auch ich habe es mich häufig gefragt: Verrate ich die Liebe meines Lebens, wenn ich wieder glücklich werde, obwohl er nicht mehr lebt? Und heute frage ich: Wie kann ich ihn verraten? Auf welcher Ebene? Lieben tu ich ihn noch immer. Und solange er atmete, solange er lebte, solange sein Herz schlug, war ich an seiner Seite, ohne wenn und aber. Ich habe mein Gelübte gehalten: Bis dass der Tod uns scheidet, ebenso wie er. Nun bin ich zurückgeblieben, kann ich ihm meine Liebe nur beweisen, indem ich die Liebe, die ein zweiter Mann mir entgegenbringt zurückweise? Nein, ich werde ihn immer lieben und ich hoffe, dass ich meinen Mann im neuen Leben ein wenig von dem Glück geben kann, das Claus bis vor dem Tag X für mich bereitgehalten hat.

Nein Illy, ich habe es nicht geschafft. Die Trauer bleibt, die Sehnsucht bleibt, aber ich bin auf meine Weise wieder glücklich. Mit einem Mann an meiner Seite, der Kerzen anzündet für meinen Mann und seinen Sohn, der weiß, wie Trauer sich anfühlt, der Respekt vor meinem alten Leben hat. Und mit einer Freundin, wie ich sie zuvor nie getroffen habe, die verloren hat, was ich verloren habe, die weiß wie es sich anfühlt, die mich versteht ohne zu reden, die mich zum Lachen bringt mit dicken Backen und Blicken ohne Worte. Das alles habe ich gefunden in dem Leben nach dem Tag X. Das alles möchte ich niemals wieder missen und hätte doch so gerne darauf verzichtet. Nein, ich habe es nicht geschafft...

Yammas in die Runde

Andrea