AW: Stammtisch
Heute wieder: Wie gut, dass es den Stammtisch gibt.
Es war Frühling, vor 43 Jahren. Wie man mir sagt, ein herrlicher, sonniger Tag. Und mein geliebter Bruder kehrte nie wieder von dieser Klassenfahrt zurück. Mein großer Bruder, zu dem ich aufsah, war er bei mir, war meine kleine Welt in Ordnung. Und er musste mich alleine lassen und ich musste damit weiterleben.
Es war Frühling, vor 32 Jahren, und mein gliebter Claus und ich waren von da an unzertrennlich. War er bei mir, war meine Welt in Ordnung. Das große Glück auf Anhieb zu finden, war es eine Art Entschädigung des Lebens für das, was in meiner Seele zerstört wurde?
Und wieder kam ein Frühling, auf den Todestag meines Bruder, und ich musste erfahren, dass die heimtückische Krankheit sich schon munter ausgebreitet hatte. Das Todesurteil, nur noch eine Galgenfrist die blieb. War es der Preis für 28 Jahre Unbeschwertheit? Warum noch einmal? Nein, keine Strafe, aber was war es dann? Der endgültige Abschied im Herbst - eigentlich ja auch viel passender - aber doch, begonnen aufzuhören hat es im Frühling
Frühling, 18 Monate nach dem Tod meines geliebten Mannes. Wieder ist mir die Liebe begegnet, wieder scheint meine Welt ein wenig heiler, wenn er bei mir ist. So voller Antrieb auf einmal, nach dunklen Stunden am PC, nach einsamen Wochenenden. In diesem Frühling merkte ich: Ich lebe noch, vielleicht macht das Leben sogar wieder irgendwie Sinn.
Im vergangenen Jahr im Frühling dominierte der Übermut. Mädchenlachen mit meiner geliebten Freundin, 3 Bekloppte und ein Jugendlicher auf großer Ostertour. Eine Woche Gespräche, Weinen, Lachen und eine wunderbare Vertrautheit. Queen im Planetarium und mein Sohn bekommt noch heute eine Gänsehaut, wenn er die Lieder hört. Zaghaft kommt das Leben wieder, vorsichtig lassen wir uns wieder darauf ein. Stolpersteine, noch jede Menge auf unserem Weg. Und doch, im letzten Frühling spürte ich so deutlich: Wenn ihr bei mir seid, ist meine Welt in Ordnung.
Und nun ist wieder Frühling. Wird er jemals wieder richtig unbeschwert? Das Leben kehrt zurück, die Blumen blühen, die Luft riecht herrlich, die Sonne scheint. Und doch liegt Melancholie auf mir. Will keine Veränderung mehr, hänge so sehr an denen, die seit dem Tag X mein Leben mit mir teilen. Ja, man hat immer die Wahl: Lass dich auf nichts und niemanden mehr ein, und der Schmerz kann dich nie wieder so heftig erwischen. Oder öffne dein Herz auf die Gefahr hin, dich wieder zu verbrennen aber mit dem Geschenk des Gleichklangs und der Glückseligkeit in der Zwischenzeit.
Und der Preis ist, dass meine Gedanken kreisen, im gestern, im heute, in dem was, wenn... Und ich bin ratlos, hätte so viel zu sagen, habe plötzlich so viele Bedenken, habe Angst verletzt zu werden, habe Angst, dass die, die ich liebe verletzt werden.
Es ist Frühling und das Wochenende soll sehr schön werden. Schiebe ich also die traurigen Gedanken zur Seite. Hoffe, dass mein Chef zu uns zurückkehrt, ist es normal, dass man seinen Chef vermisst? Ach, ich vergaß, es ist Frühling, würde irgendwie passen, wenn ich den Menschen ziehen lassen müsste, dessen Gespräche mir in den letzten Monaten soviel Kopffutter gegeben haben, der mich in einer aussichtslosen Situation eingestellt hat. Und wieder wäre ich machtlos etwas dagegen zu tun. Ich weiß, nicht vergleichbar, nicht einmal im Ansatz. Und doch, will keine Veränderung mehr dort, wo sich das Leben gut anfühlt.
Sorry, aber heute musste ich am Stammtisch mal "einen trinken"
LG
Andrea
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Που να 'σαι τώρα που κρυώνω και φοβάμαι
και δεν επέστρεψες
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