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Alt 31.12.2003, 11:13
Gast
 
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Standard Was ist los mit mir?

Liebe Mandy,
deine Zeilen machen mich betroffen. So wie du über deine Mutter schreibst, hat sie in meinen Augen aufgehört, am Leben teilzuhaben - und das schon mit dem Unfalltod deines Vaters. Wenn ich richtig gerechnet habe, dann warst du zu der Zeit erst 9 Jahre alt. Also hat es in deiner Kindheit und Jugend nicht sehr viele lustige Momente in einer intakten Familie gegeben. Wenn eure Mutter immer nur auf ihre Arbeit und auf dich und deine Schwester fixiert war, dann sind deine Probleme ganz leicht zu verstehen. Umso mehr ist verständlich, dass für dich der Partner, Freunde und Hobbys sehr wichtig sind.
Meine Mutter ist vor 10 Jahren gestorben, damals war ich 35 Jahre alt. Wir waren immer eíne lustige Familie, auch wenn meine Mutter schon immer viel krank war. Mit ihrem Tod hat sich jedoch mein Vater total verändert. Meine Mutter war für ihn der Lebensmittelpunkt - auch er hatte nie Freunde. Es war eine ziemlich schwierige Zeit für mich, denn ich hab mich auch ihm gegenüber verpflichtet gefühlt. Durch seinen schlechte Stimmung und Streitsucht hat er auch alle Verwandten und Nachbarn verscheucht - es will sich doch keiner immer nur (ungerechtfertigte) Vorwürfe machen lassen.
Die Situation hat sich zugespitzt, als seine Krankheit so schlimm wurde, dass er eine Lebertransplantation machen musste. Alle Anderen waren für Alles verantwortlich - nur er hat alles richtig gemacht. Ich habe in dieser Zeit sehr viel geweint und hatte auch Angst, meine Familie zu vernachlässigen. In dieser Zeit habe ich angefangen zu verstehen, dass ich nicht für ihn und sein Leben verantwortlich bin. Es hat viele Auseinandersetzungen gegeben und oft hatte ich auch einige Monate keinen Kontakt zu ihm. Es ist vorgekommen, dass wir ihn besucht haben und als wir sahen, dass er sofort zu schimpfen angefangen hat, sind wir wieder gefahren. Momentan haben wir wieder eine vernünftige Basis zu reden, aber ich weiss aus Erfahrung, dass dies morgen schon wieder anders sein kann.
Aber ich bin jetzt in der Lage, dass mich solche Ausbrüche nicht mehr so tief berühren und habe akzeptiert, dass ich ihm nicht Alles abnehmen kann und nicht für ihn verantwortlich bin.
Seit April des Jahres bin ich selbst an Eierstockkrebs erkrankt. Zum Glück habe ich neben meiner Familie viele liebe Freunde und Bekannte, die mir in diesem schweren Jahr sehr viel geholfen haben.
Ich denke, dass deine Schwester für sich auch schon entdeckt hat, dass man im Leben auch einmal egoistisch sein muss. Du musst dein Leben so leben, wie es für dich das Beste ist. Natürlich sollst du deine Mutter nicht im Stich lassen, aber letztendlich muss jeder sein Leben selbst meistern. Eine psychologische Betreuung wäre sicher für sie von Vorteil, das wird ja schon in vielen Krankenhäusern angeboten.
Auf keinen Fall ist man als Kind verpflichtet, sein eigenes Leben aufzugeben und sich immer um die Eltern zu kümmern und sie ständig zu besuchen. Du hast ein Recht auf dein eigenes Leben! Natürlich ist der Diagnose deiner Mutter schlimm und du möchtest dir ja später keine Vorwürfe machen. Du musst für dich selbst entscheiden, wie oft du sie besuchen wíllst. Vielleicht hilft dir eine bisschen Abstand, wenn deine Schwester wieder da ist!
Ich wünsche dir für das neue Jahr viel Kraft und viel Lebensfreude mit deinem Partner und deinen Freunden!
Liebe Grüße
Margit
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