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Alt 29.09.2009, 20:15
Stefans Stefans ist offline
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Standard AW: Angst wie damit umgehen?

Hallo,

Zitat:
Zitat von bugatti Beitrag anzeigen
wie haltet ihr es aus, jeden Tag damit rechnen zu müssen, daß der Partner stirbt.
Meine Frau, mit der ich über 20 Jahre zusammen war, ist am 3.01.09 an Krebs verstorben. Wir wussten schon ein Vierteljahr vorher (nach der wegen Erfolglosigkeit abgebrochenen Chemo), dass sie sterben muss. Nur nicht, wann...

Wie ich das ausgehalten habe? "Gar nicht", würde ich spontan sagen. Oder besser: daran habe ich nicht gedacht, weil immer so viel Praktisches zu tun war. Erst, meine Frau in der Klinik zu unterstützen. Dann, sie trotz aller bürokratischen Hindernisse aus der Klinik rauszuholen, weil sie Zuhause sterben wollte. Und als sie dann Zuhause war, war gar keine Zeit mehr. Um 6, 12, 18 und 0 Uhr Medikamente verabreichen, Infusionen machen usw., zwischendurch immer mal wieder nach ihr sehen. Täglich mit Pflegedienst und Hausärztin reden, Besuch von Freunden und Familie managen, mehrmals täglich im "Notfall" (Handy klingelt, meine Frau ruft an) einschreiten. Sie waschen, betten, Kleidung wechseln, Bettpfanne bringen, usw. Nachts bei ihr sitzen, weil sie Albträume hat; oder, weil sie wegen der hohen Morphiumdosis nicht mehr ganz klar im Kopf ist.

Das klingt vielleicht herzlos. Aber in der Situation war gar keine Zeit mehr, Angst zu haben. Ich war froh, wenn ich ab und zu mal ein paar Stunden schlafen konnte. Ohne die Freunde, die in der Zeit fast immer hier waren, wäre ich selbst nach kurzer Zeit zusammengebrochen. Nicht wegen der Arbeit, die meine Frau verursacht hat. Sondern, weil ich niemals Zeit für mich hatte. Ich war durch sie dauernd ans Haus gefesselt und immer "in Bereitschaft". Gar nicht daran zu denken, mal mit dem Hund Gassi zu gehen, geschweige denn zum Einkaufen in die Stadt.

Im nachhinein habe ich mir lange Zeit Vorwürfe gemacht, weil ich in der Zeit so im Stress war - und das Freundliche, Liebevolle im Umgang mit meiner Frau (so wie man sich das im Idealfall vorstellt) deshalb einfach viel zu kurz gekommen ist. Aber andererseits ging es meiner Frau auch so schlecht, dass sie über alles "positiv Aufbauende" sicher nur bitter gelacht hätte - wenn sie denn noch die Kraft dafür hätte aufbringen können.

Meine Frau war nur ein paar Wochen vor ihrem Tod Zuhause. Sie hat Weihnachten noch Zuhause erlebt, Hund, Katze, Familie und gute Freunde gesehen. Und dann konnte sie in Frieden gehen. Liebevoll, positiv und aufbauend war diese letzte Zeit nicht. Am ehesten noch die Nacht, in der sie früh morgens gestorben ist, wo ich mit dem Hund bei ihr war, weil ich schon gespürt habe, dass es nun zu Ende geht.

Das Positive bleibt im Alltag sehr schnell auf der Strecke, wenn man als Angehöriger rund um die Uhr verfügbar sein muss. Und dem über alles geliebten Menschen, der bis vor kurzem noch eine starke und unabhängige Persönlichkeit war, ein paarmal am Tag die Windeln wechseln muss. Und man weiss, dass es bald mit ihm vorbei ist...

Zitat:
Der Angehörige soll den Patienten ja immer positiv aufbauend anreden usw. Das schaffe ich einfach nicht mehr immer. Die Angst macht mich körperlich und seelisch fertig.
Das schafft niemand, und deine Probleme sind völlig normal. Meine Frau war vor ihrem Tod nur wenige Wochen hier Zuhause, und ich habe schnell gemerkt, dass ich damit völlig überfordert bin.

Deshalb fällt mir als Rat nur ein, dass du dir schnell Hilfe von aussen suchen solltest. Ob Freunde, Pflegedienst, Hausarzt, ambulanter Hospizdienst, oder sogar eine privat bezahlte Teilzeit-Pflegekraft (wenn das Geld dafür reicht). Mobilisiere alles, was du kannst, um dich zu entlasten. Das schlimmste, was deiner Frau passieren kann, ist, dass du wegen Überlastung krank wirst und dich gar nicht mehr um sie kümmern kannst. Je mehr du an Routine-Aufgaben der Pflege andere delegieren kannst, desto mehr kannst du emotional für deine Frau da sein.

Viele Grüße,
Stefan
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