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Alt 30.10.2009, 09:19
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HelmutL HelmutL ist offline
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Registriert seit: 03.03.2007
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Daumen hoch AW: Es bleibt die Liebe

Guten Morgen Lissi,

es gab eine Zeit, da dachte ich: "Leider geht mein Leben weiter, alleine." Heute denke ich: "Es fühlt sich gut an, das Leben, leider ohne dich."

Ich habe mir 2 Wochen Urlaub bei den Nordfriesen gegönnt. Lange hab ich gezögert, dorthin zu fahren. War es doch so was wie unsere zweite Heimat. Insgeamt 16 mal waren wir dort, ich kenne die Insel Nordstrand wie meine Westentasche. Selbst unsere Kinder haben die glückliche Zeit da oben nie vergessen. Als sie erfuhren, dass ich da hinfahre, waren sie nicht so begeistert von meiner Idee. Sie wussten, welche Erinnerungen an diese Insel geknüpft sind.

Und ja, diese Erinnerungen kamen. Jedoch nicht so, wie ich das erwartet hab. Am Strand, am Deich, beim Bäcker, im Restaurant: überall hatte ich das Gefühl, sie müsste jeden Moment um die Ecke kommen. Und ja, sie kam.

Sie kam mit einem Lächeln: "Ich bin froh, dich hier zu sehen", sollte das heissen. "Geniesse deine Erinnerungen" sollte das heissen. Und dann war sie wieder weg, in meinen Gedanken. Jedoch, ich fühlte mich nicht allein gelassen.

Zum erstenmal seit langer Zeit hatte ich wieder das Gefühl als ganzer Mensch gesehen zu werden. Als Mensch aus einem Stück. Nicht so, wie zu Hause, wo die Menschen in Gedanken häufig immer noch Myriam neben mir sehen. Zu Hause bin ich ein Witwer. Dort oben bin ich einfach ein Mensch, der Urlaub macht, den man mehr oder weniger nett findet, mit dem man auch mal ein paar nette Worte wechseln kann. Ohne Hintergedanken.

Eine völlig neue Erfahrung für mich. Eine verblüffende Erfahrung. Ich habe diese Erfahrung genossen, sie gab mir Luft zum Atmen.

Es ist diese innere Zerissenheit, die uns so fertig macht. Das Gefühl, nur noch ein halber Mensch zu sein. Deine/unsere gewohnte Umgebung bestärkt uns darin sogar noch ungewollt. Selbst mit und gerade durch Beileidsbezeigungen, durch Trösten, durch Zuspruch. Klar, wir brauchen das zu gegebener Zeit, auch in Zukunft noch, und es ist auch gut und richtig so. Dieser halbe Mensch zu sein, dass dem nicht so ist, nie so war, das haben mir diese 2 Wochen an der Nordsee gegeben.

Ich weiss, das hört sich wiedersinnig an. Jedoch, wir lebten zwar auch nach dem Tag X weiter, innerlich jedoch waren wir tod. Auch ein Wiederspruch in sich.

Ich wünsche dir und den vielen anderen hier, dass sie vielleicht eines Tages eine ähnliche Erfahrung haben werden. Die Welt wird mit einem Schlag freier, bunter, schöner. Die Erinnerung, die bleibt. Sie ist das Ziel. Ein langer, beschwerlicher, tränenreicher Weg mit vielen Fallen und Stolpersteinen. Unsere lieben Verstorbenen wollen, dass wir diesen Weg, der nie so ganz enden wird, gehen. Aufrecht gehen.

Wenn du möchtest, dann schau dir meine Bilder an, die ich geschossen hab. Viele strahlen Frieden, Weite und Ruhe aus. Auf einigen kannst du sogar wieder den Horizont sehen.

http://s8.directupload.net/file/u/24...zwkvh6_jpg.htm

Ich drück dich

Helmut
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Zeit zum Weinen, Zeit zum Lachen.
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