AW: Ich kann es nicht fassen
Liebe Ela,
melde mich nun auch noch mal nach langer Zeit zu Wort. Weihnachten war für mich auch jahrelang die Hölle. Meine Arbeit auch, die verbliebene Verwandtschaft zu weiten Teilen ebenso. Habe jeden Feiertag im Jahr gehasst, weil mein Vater nicht mehr dabei sein durfte. Habe mir schreckliche Marotten zugelegt - knirsche z.B. bis heute so mit den Zähnen, dass bald nix mehr zu reparieren ist (diese netten Aufbiss-Schienen zerbeisse ich relativ kurzfristig), rauche und trinke zuviel Bier. Habe auf eine Hochzeit mit meinem Schatz verzichtet, weil ich den Gedanken an eine Feier ohne meinen Vater, der vor über sechs Jahren an BSDK sterben musste, nicht ertragen konnte. Kinderkriegen war dann auch erst mal ad acta gelegt - auch deshalb, weil ich dauernd um meine Mutter herum war.
Seit einiger Zeit ist aber auf einmal auch ein bisschen Licht am Ende des Tunnels - ich werde immer trauern und manchmal auch wieder stundenlang heulen - aber ich weiß, dass mein Paps nie gewollt hätte, dass ich mich so fertig mache. Er selbst hatte ja auch schreckliche Verluste erlitten und lebte mir die nicht vor (weiß nicht, wie er das geschafft hat, aber trotzdem).
Und ich selbst habe erst kürzlich ernsthaft begriffen (das klingt jetzt sooo blöd, ist aber so), dass mein eigenes Leben auch endlich ist. Hatte vor einiger Zeit erst eine fiese Erkältung (war natürlich nicht beim Arzt), dann dauernd Atemnot, dann Herzrasen verbunden mit dauerndem Zittern am ganzen Körper und unvermittelten Schwindelanfällen. Jetzt ist das endlich vorbei und geblieben ist mir das Gefühl der Angst.
Um meine paar Jahre, die ich noch habe, wenn ich Glück habe.
Das heißt nicht, dass die Trauer weg ist - aber irgendwie möchte ich auch ohne meinen lieben Paps noch ein paar schöne Tage haben. Irgendwann sehen wir uns ja wieder.
Und ich gehe jetzt auch wieder ein bisschen auf die Kollegen bei meiner Arbeit zu - zwar langsam - aber ich stelle schon fest, dass es sogar einige nette Leute da gibt (was mich in den letzten Jahren überhaupt nicht mehr interessiert hat) - auch wenn die Arbeit an sich tatsächlich immer schlimmer wird. Ich stelle aber auch fest, dass Letzteres eine Frage meiner eigenen Einstellung ist: Was da abläuft, muss ich nicht alles mitmachen. Was kann mir denn passieren? Ich werde im schlimmsten Fall eben arbeitslos. Na und? Das ist kein BSDK.
Gerade Du mit Deiner Einfühlsamkeit bist viel zu wertvoll, um zu verkümmern. Deine Ma hätte das auch nie gewollt - sie hätte dagegen sogar wie ein Berserker gekämpft. Alles braucht aber seine Zeit - und die musst Du haben. Aber denk daran, dass nichts besser wird, wenn Du Dein Leben mit so viel Trauer verbringst.
Ich denke jetzt manchmal an meinen Paps in Verbindung mit einigen anderen Verstorbenen und stelle mir vor, dass sie zusammen feiern und glücklich sind. Dass meine liebe Oma auch dabei ist, die auf ihn gewartet hat. Und mein armer Kater, der auch so gemein gestorben ist. Dann weine ich, aber es ist trotzdem ein Bild, mit dem ich leben kann. Ich rede mit meinem Papa und lasse ihn die anderen Lieben grüßen. "Auf bald" sozusagen.
Heulen muss ich trotzdem noch heute oft. Und wütend bin ich auch noch. Aber es lässt alles nach. Nur die Liebe nicht, die bleibt.
Ich wünsche Dir und allen anderen Leidensgenossen/-genossinnen (und auch mir) Gesundheit, Gelassenheit und ein schönes Leben trotz Allem.
wusta
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