Hallo Kyria, hallo zusammen,
stimmt, ich bin im Moment arbeitsunfähig geschrieben. Aber ich mache mir auch Gedanken, wie es weitergehen kann und ob sich wieder die Möglichkeit bietet, zu arbeiten (und den damit verbundenen Belastungen stand zu halten.
Nun aber noch etwas anderes: ich hatte hier kürzlich auf einen Text verwiesen: Ich sterbe, also bin ich - Gedanken zu Krebs und Not und Tod, geschrieben auf einer Palliativstation von Wolfgang Bergmann,
http://www.welt.de/die-welt/debatte/...o-bin-ich.html
Zu diesem Text habe ich ein paar Gedanken notiert, die ich hier festhalten möchte:
Bergmann hat eine interessante Erfahrung gemacht: harte oder unerbittliche Gedanken, die sonst angst- bzw. furchtbesetzt sind, werden plötzlich leicht und befreiend:
Zitat:
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Mit den Hoffnungen schwinden auch die Befürchtungen, daher vielleicht diese Leichtigkeit, die seither ganz unvernünftig durch mein Gemüt weht.
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Diese Verwandlung erleben aus meiner Sicht auch andere Menschen in solchen Krankheitsprozessen.
Mir ist es mit diesem Essay auch merkwürdig ergangen. Der Tod als Grenze einer radikalen Endlichkeit, als Gegenprinzip zur Liebe, das klingt vertraut. Es gelingen ihm dann auch paradoxe Sätze, die erstmal aufmerken lassen:
Zitat:
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Je unversöhnter ich mit dem Tod bin, desto ruhiger schaue ich ihm entgegen.
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Mit dem Schwinden der Hoffnung, - ebenso paradox -, zieht unvernünftige Leichtigkeit in sein Leben. Ich spüre Bergmanns Anliegen, sich ganz auf die nicht mehr reduzierbare Körperlichkeit zu beschränken. Den Verlust des Ichs im Tod kann ich auch nachvollziehen:
Zitat:
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Das bewusste Ich war immer schon eine Konstruktion, ein Sekundäres und Leichtes. Sein Verlust ruft deshalb, mindestens in der Vorstellung, auch ein Gefühl der Leichtigkeit hervor, als hebe das Ich sich ab von der Erdenschwere, es war ja nie stabil, war nie "Herr im eigenen Haus".
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Und hier liegt für mich eindeutig die Stärke dieses Essays. Der Tod kommt in seiner Bösartigkeit in den Blick, die dem Leben keine Erfüllung gönnt, sondern es einfach abbricht. Kein "alt und lebenssatt sterben", der "Tod ist das Böse". Das Schwere an ihm ist der Abschied vom Körper, den wir schon hatten, bevor "ich" wurde.
Aber der Tod wächst für Bergmann dabei auch zu einer Macht heran, die ich ihm nicht einräumen möchte. Bergmanns letzter Satz entsprechend:
Zitat:
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"Ich bin, der ich bin - spricht der abrahamitische Gott. So spricht der Tod auch."
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Da sage ich dann Nein! Der Tod spricht nicht! Der Tod ist stumm und macht stumm und lässt die verstummen, denen er sich bemaechtigt. Auch darin ist der Tod böse.
Mein eigentliches Unbehagen an diesem Essay entzündet sich aber an einer anderen Frage. Bergmann will die Radikalität der Endlichkeit zu Ende denken, die für ihn - neben allem Schmerz und aller Furcht auch eine befreiende Seite hat, aber er drückt sich dann aus meiner Sicht geschickt um die letzte Konsequenz, indem er, auch wo er von der Menschheit redet, letztlich ganz bei sich selbst bleibt und den größeren Zusammenhang, in dem wir Menschen uns bewegen nicht in den Blick nimmt.
Die reine körperbezogene radikale Endlichkeit ist meines Erachtens erst wirklich dann zu Ende gedacht, wenn ich die Schöpfung, die Menschheit und ihre Geschichte als Ganzes dabei mitdenke, und das dann erwachende Problem ist ein moralisches. (Kant hatte in der Kritik der reinen Vernunft das moralische Argument ja als einziges gelten lassen, um den Glauben an Gott zu untermauern.)
Fjodor M. Dostojewskij spitzt diese Frage nach der radikalen Endlichkeit in einer kleinen wirklich absichtlich schockierenden Episode zu, die ich in seinen "Brüdern Karamasow" fand, im Zwiegespräch zwischen Iwan und Aljoscha. Iwan berichtet von einem achtjährigen Jungen zur Zeit der Leibeigenschaft, der beim Spielen versehentlich mit einem Stein den Jagdhund des Generals trifft und dann arrestiert wird:
Zitat:
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... Man führt den Knaben aus dem Arrestlokal heraus, es ist eine düsterer, kalter, nebeliger Herbsttag, prachtvoll zur Jagd. Der General befiehlt, den Knaben zu entkleiden, das Kind wird ausgekleidet, es zittert, ist vor Angst von Sinnen, und traut sich nicht zu mucksen. ,Hetzt ihn!’ kommandiert der General. ,Lauf, Lauf!’ rufen die ihm Hundewärter zu, und der Knabe läuft... ,Ihm nach!’ brüllt der General, und lässt die ganze Meute der Windhunde auf ihn los. Vor den Augen der Mutter hetzte er das Kind zu Tode, und die Hunde rissen es in Stücke!...
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Wer mit der radikalen Endlichkeit ernst machen will, muss meines Erachtens nach eine tragfähige und wirklich belastbare Antwort auf des Menschen "unstillbare Sehnsucht" geben, "dass der Mörder nicht über das unschuldige Opfer triumphieren möge" (Max Horkheimer).
Wenn der Tod das Nichts ist, wie Bergmann schreibt, für den es "nun endgültig" ist, "kein Sinn, nirgends", dann triumphieren für mich auch im Tod noch die Mörder über ihre Opfer, wenn der Tod das Nichts ist. Darum hoffe ich auf ein jüngstes Gericht, in dem sich Gott der Menschheit noch einmal richtend und rettend zuwendet, damit eben nicht am Ende die Mörder über ihre Opfer triumphieren. Denn das wäre der schlimmste Ausdruck göttlicher Gleichgültigkeit gegenüber dem Menschen.
Sind Bergmann solche Gedanken fremd? Ich glaube das nicht ganz. Vielleicht will er sich mit der schlimmsten aller Möglichkeiten vertraut machen, um auch ihr standhalten zu können und insgeheim darauf hoffen, dass es besser kommt?
Zitat:
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Jesus war die Präsenz der Liebe, und der Tod ist das Gegenprinzip. Er ist das Böse. Die Welt ist voller Feinde, wenn man stirbt.
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Alles richtig aus meiner Sicht bis auf den letzten Satz. Denn
Zitat:
Auch wenn ich gehn muss
durch die Todschattenschlucht,
fürchte ich nicht Böses,
denn du bist bei mir,
dein Stab, deine Stütze –
die trösten mich.
(Ps. 23,4, verdeutscht von Martin Buber)
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Beste Grüße
Ecki