Einzelnen Beitrag anzeigen
  #404  
Alt 03.12.2010, 12:33
yagosaga yagosaga ist offline
Gesperrt
 
Registriert seit: 29.04.2010
Ort: Braunschweig
Beiträge: 215
Standard AW: Kleinzeller mit Fernmetastasen

Zitat:
Zitat von brigitte1901 Beitrag anzeigen
Ich kann, weil ich will, was ich muss. (Immanuel Kant)

Alles erdinglich Gute und ganz viel Kraft
von Herzen Brigitte
Vielen Dank für das Kant-Zitat und die guten Wünsche aller hier.

Hier ist mein überarbeiteter Text:

Mein Krebspsalm

2.12.2010

Seit fast neun Monaten habe ich Krebs. Eine der agrressivsten Formen, die beim Menschen bekannt sind. Neben dem Lungentumor, der sich bis jetzt jedoch ruhig verhält, sind es die ungezählten Metastasen, die mir zu schaffen machen. Nach einer ca. zweieinhalbmonatigen Pause erlebte ich Ende Oktober einen plötzlichen und heftigen Rückfall. Die Lebermetastasen wuchsen sich zu einer lebensbedrohlichen Gefahr aus. Wochenlanger Zustand zwischen Leben und Tod, ich spürte, wie die Kräfte mich verließen, z.T. schon leichte Atemnot, zeitweise wurde ich nur im Rollstuhl gefahren, ich spürte es im Kopf, ich spürte, wie sich das Todeskoma näherte...

Es kamen Knochenmtetastasen in der Wirbelsäule hinzu, verbunden mit der Gefahr, dass die Wirbelsäule "zerbröselt". Dagegen bekomme ich Knocheninfusionen. Hört sich schlimm an, aber ist Pillepalle im Vergleich zu anderen Erfahrungen. Seit Anfang November in der Klinik, zwischendurch entlassen, aber nach gut einer Woche wieder zurück in die Klinik mit erneuten lebensbedrohlichen Zuständen. Lymphmetastasen kamen hinzu.

Anfang dieser Woche wieder in die "Röhre"... diesmal waren die Radiologen sehr schweigsam... Zurück in der Klinik. in Arzt kommt herein und überbringt mir tief traurig die nächste Hiobsbotschaft: sieben neue Hirnmetastasen...

Morgen nachmittag bekomme ich die erste Ganzhirnbestrahlung mit ultraharter Röntgenstrahlung aus dem Linearbeschleuniger. Ca 20 Bestrahlungen, je fünfmal die Woche und zu je 2 Grey, insgesamt 40 Grey. 2 Grey, das ist schon ein schwerer Hammer soviel Strahlung we ein Flutlichtscheinwerfer abgibt, und das alles auf den Schädel zwei Minuten lang... ich werde meinen Kopf hinhalten! ABER: Die Chancen sind sehr gut, dass die Hirnmetastasen durch die Bestrahlung verschwinden und dann längere Zeit Ruhe geben. Sterben werde ich wohl an ihnen nicht. Viel Zeit bleibt dennoch nicht mehr. Mit welchen Persönlichkeitsveränderungen ich aus der Bestrahlung hervorgehe, ist auch nicht eindeutig, aber auch hier sind die Prognosen günstig, dass ich glimpflich davon komme.

Auf Schmerzmittel verzichte ich weitgehend, denn ich möchte fühlen, wann und wo der Tumorschmerz kommt, und wann er wieder geht, damit ich weiß, was Sache ist und Auskunft geben kann! Mit der Ausnahme jedoch, wenn der "Kapselschmerz" so intensiv wird, dass ich mich nur noch krümme und vor Schmerzen nur noch stockend Luft holen kann, dann gönne ich mir Tumorschmerztropfen. Da habe ich dann auch keine Hemmungen. Aber zum Glück habe ich - aus meiner Sicht - in Sachen Schmerzen noch nicht viel auszustehen gehabt.

II.

Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, was ich von wütend, fuchsig, zornig, sauer bin! Nicht auf Gott, Jesus und den Himmel. Auf meinen lieben Hergott, meinen persönlichen Heiland Jesus Christus und den ganzen Himmel lass ich nichts kommen. Sie sind mir in meiner Wut das liebste, was ich habe, und ich danke der göttlichen Dreieinigkeit auf Knieen für das Geschenk dieser herrlichen Wut! Ich preise meinen Vater im Himmel, und meinen Herrn Jesus Christus und den guten Heiligen Geist, der mir den Lebensatem in jeder Sekunde neu gibt, dafür. Ich könnte Gott im Himmel Loblieder singen mit einer Stimme, die wie eine Posaune in die ganze Welt hinausträgt... (aber dafür gibt es ja heute das Internet, wo die Stimme versagt)

Ja, mein großter Tag des Zorns, der furchtbare Tag des Schreckens begonnen! Für den Krebs! Nicht für Euch oder irgendeinen anderen Menschen oder den ganzen Himmel.

Eine längere Zeit während dieser ganzen Krankheit habe ich immer wieder gesagt, ich habe meinen Frieden mit dieser Situation gemacht. Das war genau richtig und wichtig für diese Zeit. Davon nehme ich kein Stück zurück. Aber jetzt ist Wut dran.

Dieser heimtückische Krebs kommt einfach so daher, bricht in mein Leben ein wie ein Alien (kennt Ihr diesen fiesen, dreckigen Science-Fiction-Film mit dem schleimigen kleinen Monster aus dem All, dass sich tief in die Eingeweide eines Menschen von innen her durchfrist und dann durch die Bauchdecke bricht und dem Menschen plötzlich blöd und hässlich angrinst?) daher wie ein Wegelagerer und versaut mir mein ganzes Leben! Und er ärgert mich und erklärt mir den "totalen Krieg". Wer ihn haben will, der soll ihn kriegen!! Der große und furchtbare Tag des Zorns ist nahegerückt! Morgen gehe ich das erste Mal in die Bestrahlungskammer. Dann werde ich meinen Kopf den tödlichen Strahlen hinhalten. Von mir aus sollen sie mich doch festschrauben und foltern. Das kommt jetzt auch nicht mehr drauf an.

Gestern war auch wieder Chemo dran. Mein Arzt wollte wegen der Bestrahlung die Chemo aussetzen. Ich habe ihm gesagt, das kommt gar nicht in die Tüte! Ich bestehe auf die Chemo. Keine Rücksicht! Wer den totalen Krieg haben will, der kriegt ihn!!

Bestrahlung und Chemo so kurz nacheinander... Ich habe auch gesagt, wenn ich hinterher Pflaumenmus bin und mich wie ein Stück Scheiße fühle, dann sollen sie mich im Krankenhaus wieder zu einem Menschen aufbauen. Das können die Ärzte. Aber der furchtbare Tag des schrecklichen Zorns muss sein. Und ich stehe das durch, dank dem Himmel für diese herrliche Wut! Der Krebs soll mich noch kennenlernen! Und wie! Jetzt erst recht! Amen!

So, liebe Leute, das war mein herrlicher Lobpsalm auf die Wut und das göttliche Geschenk des Zorns. Wut ist eine Lebenskraft. Sage niemand, Wut und Zorn seien negativ oder schlecht. Im richtigen Augenblick sind die gut und ein Geschenk, und es ist toll, dass der Mensch damit begabt wurde. Ich stehe dazu.

III.

Im Gespräch mit meinen Arzt in der onkologischen Facharztpraxis: ich hatte ihn gefragt, wie es sein wird aus seiner Sicht, wenn ich bald sterbe. Er kennt ja meinen Zustand am besten. Er antwortete mit einem Bild:

Stellen Sie sich einen spiegelglatten See vor (ergänze, in etwa so wie der Südsee bei Braunschweig oder der Salzgittersee.) Vom anderen Ufer her wabert ein dichter Nebel über den See herüber. Am Himmel scheint eine milchig-blasse Sonne. Am diesseitigen Ufer liegt en Kahn. Ohne Führer. Ich sitze allein in den Kahn. Jemand gibt dem Kahn vom Ufer aus einen sanften Stubs. Der Kahn gleitet still und lautlos über den spiegelglatten See. Er dringt in den Nebel ein... ein safter Laut dringt vom anderen Ufer herüber, kaum hörbar, als der Kahn anlegt. ...

... Ich werde schon erwartet...

Aber vorher wünsche ich mir nochmal ein paar gute Wochen zuhause. Mit der Familie. Weihnachten! Vielleicht noch Ostern... vielleicht noch Pfingsten... Ein Wunder für mich selber lehne ich ab, genauso wie Jesus in der Wüste und am Kreuz Wunder für seine Person ausgeschlagen hat. Aber ich bin immer dabei, für andere um Wunder zu beten und zu hoffen! Trotzdem: ich habe noch ein paar "unerlegtigte Geschäfte" begonnen, die ich gern zum Abschluss bringen würde. Daher habe ich Gott um etwas "Aufschub" gebeten. Wird er ihn gewähren... ? Nicht mein Wille, sondern sein Wille geschehe!

Danke, dass Ihr bis hierher durchgehalten und mitgelesen habt. Ich denke, Ihr werdet mich verstehen. Davon bin ich fest überzeugt. Und ich verrate Euch nochwas: Ich habe das auch geschrieben, um Mitbetroffenen und zukünftigen Mitbetroffenen von dieser hässlichen Krankheit Stimme und Worte zu verleihen, die nicht mehr sich so äußern können aus welchen Gründen auch immer, aber tief in ihren Herzen genauso empfinden wie ich.

Herzliche Grüße
Ecki