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Alt 27.08.2020, 14:27
hierfalsch hierfalsch ist offline
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Blinzeln AW: Chemo und Arbeit

Liebe Jessica

ich persönlich habe in der Chemo nicht gearbeitet, aber ich kenne mehrere, die es versucht haben.

Ich kenne eine Frau, die unter Platinchemo arbeiten geht.
Sie hat es so geregelt, dass sie alle drei Wochen den Freitag auf Überstunden-Abbau frei hat oder Urlaub nimmt. Donnerstag macht sie früh Feierabend, dann gibt's die Infusion. Freitag, Samstag, Sonntag Zuhause. Montags wieder zur Arbeit. Die erste Woche nach dem Platin ist wohl sehr hart. Sie arbeitet möglichst wenig, gleitet viel, legt wichtige Termine verstärkt woanders hin. "Es geht nicht gut, aber es geht" sagt sie auf Nachfrage.
Die zwei Wochen danach sind besser, da arbeitet sie dann mehr.
Und nach drei Wochen das selbe nochmal...

Eine Freundin von mir ist selbständig, ihr ganzes Herz hängt an ihrem Laden. Sie war wild entschlossen "ganz normal weiter" zu arbeiten, komme was wolle - trotzdem musste sie feststellen, dass man nicht hexen kann. Manchmal musste sie alles liegen lassen, der Laden blieb zu - weil sie es nicht gepackt hat.

Eine weitere Freundin von mir hat aus finanziellen Erwägungen weiter "gearbeitet" um nicht ins Krankengeld zu fallen. Sie hat ihren gesamten Urlaub genommen, hat die Krankheitstage genau gezählt und kalkuliert genommen. Zusätzlich war sie aber oft während der Arbeitszeit beim Arzt und dabei über größere Zeiträume null belastbar. Ganz ehrlich: Ich fand es sehr rücksichtsvoll vom Arbeitgeber das so mitzumachen. Denn "voll arbeiten" konnte man dazu ganz bestimmt nicht sagen. Ehr das Gegenteil...


Meine persönliche Erfahrung mit Pacliataxel ist die, dass jede Infusion härter ist, als die davor. Die Nebenwirkungen summieren sich auf, neue kommen dazu, man wird auch schwächer. ICH hätte nicht arbeiten können. Ich habe einen Job mit Verantwortung, das hätte ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren können ggfs. schwerwiegende Fehler zu machen. Denn FIT war ich ganz sicher nicht. Ich würde Mal behaupten, dass es ohne verständnisvollen Chef, flexible Kollegen und genaue Planung jedenfalls nicht machbar ist.

DAZU (!!!) kommt, dass Chemo im allgemeinen, Platin im besonderen die Blutwerte zerlegt. Ich gehe sicher davon aus, dass Dein Immunsystem noch ordentlich was abbekommt. Schon in normalen Zeiten wird man dringend (!!!) gewarnt sich keinen Infekt einzufangen, weil die Abwehrkräfte halt am Boden sind (ich lag zum Ende der Chemo erstmal mit Gürtelrose im Krankenhaus - Das Immunsystem hatte die Grätsche gemacht.). In Zeiten von Corona muss man demnach doppelt und dreifach vorsichtig sein.

Du siehst: Ich bin echt skeptisch. Kann mir nicht vorstellen, dass deine Schule die nötige Rücksicht nehmen kann. Glaube nicht, dass ich kurz nach einer Platin-Infusion eine Prüfung bestehen würde. Sehe ein hohes Infektionsrisiko und dann müsste die Chemo verschoben werden.
Ob's das wert ist? Sich hinzuschleppen, die Prüfung zu vergeigen und dann die Chemo aufschieben zu müssen, weil Du eine Erkältung nach der anderen bekommst? Denn DAS wäre meines Erachtens worst-case. Dass Du versuchst beides unter einen Hut zu bekommen - und es nicht geht...

Aber natürlich hab ich leicht reden, es ist ja Dein Traum, der auf der Abschuss-Liste steht. Was Du bereit bist zu versuchen, was Du bereit bist zu ertragen und ob Du Prüfungen auch noch mit Kopf-unterm-Arm bestehen kannst, das musst Du für Dich entscheiden. Niemand kann in die Zukunft sehen, jede Entscheidung kann sich im Nachhinein als richtig oder auch als falsch erweisen. Du kannst mich gern anschreiben, wenn Du noch Fragen hast - hier oder per PN.

Ich wünsche Dir eine gute Entscheidung

hierfalsch
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