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Alt 14.12.2004, 21:43
Gast
 
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Standard 1 Jahr ohne Sprache

vor einem Jahr wurde mein Bruder zum zweiten Mal an seinem Tumor im Kopf operiert. Seitdem kann er nicht mehr sprechen.

Am Anfang dachte ich noch in voller Kämpfernatur dass er es wieder lernt....
schon nach ein paar Wochen war mir klar dass das nicht der Fall sein wird. Nachdem er dem Tod schon zwei Mal von der Schippe gesprungen ist sind wir froh dass es ihm relativ gut geht. Obgleich sich das ja schlagartig ändern kann. Wir haben jetzt schon 5 "ruhige" Monate für die ich sehr dankbar bin.

Wir können als Familie Luft holen um für den nächsten Gegenschlag des Tumors bereit zu sein.

Am Anfang war es furchtbar schwer nicht mehr mit ihm sprechen zu können. Ich wage mal zu sagen dass wir alle das beste draus gemacht haben. Mein Bruder hat ein grosses Geschick mit Gesten und Lauten zu beschreiben was er sagen will. Wir haben schon zusammen geweint weil wir nicht wussten was er möchte und Tränen gelacht weil wir etwas völlig falsch verstanden haben.

Was für mich ganz schwer zu erklären ist ob er seine Situation richtig bewerten kann. Oft glaube ich nicht.
Es gibt Dinge die haben sich völlig gedreht. An vieles kann er sich überhaupt nicht mehr erinnern. Mein Mann und ich haben vor vier Jahren geheiratet und mein Bruder hat uns ein besonderes Geschenk gemacht welches bei uns im Eßzimmer hängt. Mein Bruder wusste nicht mehr dass er uns das gekauft hat.

Was auch völlig neu ist dass er panische Angst vor Hunden hat. Kleine rasende Haarteile über die wir früher gelästert haben machen ihm riesige Angst. Oliven hat er früher gehasst heute ißt er sie leidenschaftlich.

Was ganz besonders weh tut ist wie intensiv er Bilder von sich und seiner Familie anschaut die so bei uns rumhängen. Ich weiss nicht was er denkt und fühlt. Da zerreisst mir das Herz. Er ist mein grosser Bruder und ich helf ihm aus dem Rollstuhl rein und wieder raus.

Was mich sehr wütend macht sind die mitleidigen Blicke wenn ich ihn im Rollstuhl durch die Gegend fahre. Klar jeder sieht dass da mehr ist als dass der Mann nicht mehr laufen kann. Er hat natürlich vom Kortison sehr zugenommen. Ich weiss die Menschen meinen es nicht böse. Ich ertrage es einfach nicht weil das alles so endgültig ist, zumindestens in diesem Leben.

Wir sind nie eine "Drück" Familie gewesen, auch das hat sich geändert. Wir umarmen uns wenn wir uns sehen weil auch mein Bruder so seine Gefühle zum Ausdruck bringen kann...

Ich wünsche allen Betroffenen und Angehörigen in ihren schweren Situationen alles alles Gute

Sterntalerchen
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