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Alt 19.05.2010, 01:03
Katrin&Mark Katrin&Mark ist offline
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Standard AW: Katrinchen, mein Schutzengel

Das alles war mit Dir viel erträglicher. Es kam gar nicht an. Schatz, ich fühle mich eingenommen von fremden Mächten. Ich will doch nur bei dir sein.

So geschwollen hätte ich mich in Ihrer Gegenwart nie ausgedrückt. Ich hätte von Ihr zu hören bekommen, nur Affen sagen Karaffe. Ich kann auch normal, Schatz. Für Dich nochmal! Ich fühle mich den Blicken und den Beziehungen nicht gewachsen. Ich bin ungerecht und fordernd, nichts außer meiner Trauer lasse ich zu, ich ignoriere und beschimpfe. Dir bin ich treu, sonst keinem.

Während und lange nach Chemo und Bestrahlung fürchtete Katrin Ihre Haare zu verlieren. Sie war oft vor dem Spiegel und betrachtete Ihr Haar, prüfte und fragte sich ob es schlimmer geworden ist, bereits auffällt und fand, das Ihre Haare nicht genug Fülle haben. Es kam mir so vor als ob Sie sich damit ablenken wollte, andere Gedanken nicht zulassen wollte, denn Ihre Haare waren nie schöner und es waren nur wenige ausgefallen, nicht genug für eine Strähne, wirklich nicht merkbar.

Irgendwann im Oktober hatten wir uns zerstritten. Sie war verschlossen und ich habe es als ungerechte Ablehnung empfunden. Eine Woche war davon geprägt und ich weiß inzwischen nicht mehr so richtig worum es ging. Vermutlich fühlte Sie sich nicht wahrgenommen von mir, missverstanden, vernachlässigt und alles war zuviel, auch unsere viel zu kleine Wohnung. Vielleicht war es Frustration, ich weiß es nicht. Ich spürte deutlich Ihre Wut und dachte, das Ihre Stimmung mit mir zu tun hat.

Wir stritten so heftig und waren beide sehr verletzend zueinander, das wir uns immer mehr voneinander entfernten und unsere Beziehung zu zerbrechen drohte. Ich hatte keine Ahnung worum es Ihr ging und Sie wollte es mir glaube ich auch nicht sagen sondern verstanden werden, geliebt werden. Ich Trottel diskutierte, anstatt Sie in die Arme zu nehmen. Liebling, wärst du jetzt hier würde ich Dich in die Arme nehmen.

Ich versuche mich krampfhaft zu erinnern. Keine Fragmente, nichts von unserem Streit ist übriggeblieben, alles gelöscht. Erst stritten wir uns und dann liebten wir uns um so mehr. Unsere Liebe wurde geprüft und wir blieben nicht nur zusammen sondern waren uns noch näher gekommen. Im Streit zweifelte ich an Ihrer Liebe, fragte Sie, liebst du mich wirklich. Sie war ungeheuer verletzt von meiner Frage. Wir hatten uns schon so oft unsere Liebe beteuert und ich zweifelte an Ihrer Liebe wegen eines Streits den wir auf Ersatzschlachtfeldern austrugen. Hoffentlich wird es mir gelingen, mich irgendwann wieder zu erinnern. Sie zog sich in der Woche immer wieder zurück, war verschlossen und launisch, vielleicht waren es doch Ihre Ängste. Ich wollte alles mit Ihr teilen und ich wollte wissen was los war, ich konnte mit Ihrem verschlossen Verhalten nicht umgehen und wollte diesen Zustand nicht andauern lassen noch war Sie bereit sich zu erklären. Ich bin davon überfordert. Ich muß mich erinnern und vielleicht werde ich, wenn mir das gelingt, es besser verstehen.

Sie meinte, der vorgezogene Herbst, bzw. das endgültige ausbleiben des Zyklus könnte Sie so stimmen. Sie hatte die Befürchtung Sie könnte sich durch den Eingriff im Wesen ändern. Mein süßer Schatz, du warst bis zum Schluß du selbst, der Mensch den ich für immer in meinem Herzen trage und den ich auf ewig lieben werde. Die Sorgen und Ängst waren so groß, die Behandlung öfter unterbrochen von Fieber und falschen Blutwerten. Frustration und Nebenwirkungen waren in diesen Tagen stärker präsent als meine Liebe. Es tut mir Leid, mein Liebling, es tut mir so sehr Leid, das ich nicht in der Lage war Dir mehr von Deiner Last abzunehmen.

Ich war beim Friseur. Die Haare am Hinterkopf sind zu kurz geschnitten. Sehe aus als hätte ich als Baby zuviel auf dem Rücken liegend verbracht und mir den Schädel dabei platt gelegen.

An unserem Hochzeitstag war eine Friseuse bei Ihr. Gegen 10.30 kam Sie und blieb bei Ihr bis kurz vor 12.00. Die Zeremonie begann um 14.00. Sie war davor nie beim Friseur und hatte auch nie einen Profi soweit mir bekannt ist an Ihr Haar gelassen. Zwei Tage zuvor fragte ich Sie, Frau Brehm, bist du damit einverstanden wenn ich dir eine Friseuse bestelle. Sie lehnte ab und ich fragte wenig später nochmal und dann nochmal. Irgendwann gab Sie Ihren Widerstand auf. Die beiden hatten, wie ich später erfuhr, großen Spaß und Sie sah ganz anders aus als ich Sie kannte. Sie hatte gewelltes Haar, Ihre Gesichtszüge wirkten weicher und verletzlicher als ohnehin schon. Ich war von Ihrem Anblick total überrascht und völlig überwältigt. Ich durfte Sie erst kurz vor der Zeremonie sehen. Als ich mit dem Brautstrauß Ihr Zimmer betrat stand Sie strahlend vor mir. Ich hatte einen riesenhaften Kloß im Hals. Da stand Sie, meine zukünftige Frau für die ich von nun an immer sorgen und alles mit Ihr teilen würde. Sie war zittrig auf den Beinen und jemand brachte einen Rollstuhl.

Meine Frau nahm in den letzten Tagen B17 und jede Menge andere Aufbaupräparate, die wenn Sie nicht so früh von uns gegangen wäre ein Vermögen verschlungen hätten. Von Taxol wollte Sie nichts wissen. Ich hatte mich an einen Apotheker in Hannover gewandt, der mir sehr empfohlen wurde. Herr Domhart, der Apotheker, sagte mir, nachdem er die Befunde eingesehen hatte, Sie muß sich darüber klar sein was Sie will. Es kann Ihr Leben vielleicht ein wenig verlängern aber das würde auch bedeuten das Sie mehr leidet. Es war alles schon viel zu spät. Ich rate nicht ab und rate auch niemandem zur Einnahme begleitender Mittel. Sicherlich ist es nicht verkehrt informiert zu sein und die Möglichkeiten zu nutzen, die greifbar sind, wenn Sie von den behandelnden Ärzten unterstützt werden. Jeder reagiert anders und kein Krebs ist wie der andere auch wenn er denselben Namen hat, jedenfalls wurde uns das immer wieder gesagt. Irgendetwas könnte ja doch greifen. Und wenn nichts half, muß man sich keine Vorwürfe machen, man habe dieses oder jenes unterlassen und wenn wir doch nur ...

Ihr Lieblingsfilm war Coraline von Tim Burton. Anfang Oktober waren wir zusammen im Kino und sahen uns den Film an. Sie kannte den Film bereits und war begeistert. Ich sollte mich anstecken, mich ebenfalls begeistern und das tat ich. Ich teilte so gerne mit Ihr, es fiel mir leicht, es war so einfach. Alles wofür Sie war, dafür war ich auch und nicht weil ich in Ihrem Team spielte sondern weil es mich schlicht ebenfalls begeisterte. Sie zeigte mir so viel und alles fand ich toll. Sie mußte mich nie überzeugen. In dem Film geht es um ein kleines Mädchen, eine Tür zu einer anderen Welt, Wünsche, Träume, das ewig Alte, das bedrohlich Neue, eine sprechende Katze und zwei hinreisende Schwestern. Mehr wird nicht verraten. Schaut euch den Film an, es lohnt sich!

Zitat: So sollen für Coraline Wünsche wahr werden und hinter einer geheimen Tür im Haus öffnen sich plötzlich neue Welten ...

Wer von euch hat als Kind die Serie die Waltons gesehen. "Gute Nacht, Johnboy", "Gute Nacht, Mary Sue!".

"Gute Nacht" ist wie ein sorgender liebender Mensch, der an mein Bett tritt, mich zudeckt, das Licht anläßt damit ich mich nicht fürchte, später noch mal ins Zimmer kommt, sich versichert das ich schlafe, dann das Licht ausschaltet, die Tür vorsichtig schließt aber nicht ganz, ein Spalt bleibt offen um nicht zu lärmen, denn er kommt mich gleich noch einmal besuchen um zu sehen ob es mir gut geht. Er bleibt im Zimmer nebenan, schaltet das Radio aus und lauscht in mein Schlafzimmer. Bevor auch er ins Bett geht kommt er ein letztes mal und stellt das Fenster auf Kipp. Es geht Wind und das Rauschen der Blätter von dem Baum vor dem Fenster dringt an mein Ohr und flüstert leise ich liebe dich.

Gute Nacht, Katrin! Ich halte Wache an deinem Bett.

Geändert von gitti2002 (03.11.2016 um 22:41 Uhr)
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