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Alt 26.01.2014, 18:16
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HelmutL HelmutL ist offline
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Registriert seit: 03.03.2007
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Standard AW: Episoden und Geschichten

Hallo Hermann,

Danke für deine Schilderung.

Ich habe deinen Post gelesen und was ist? Ich sitze hier und Bilder kommen hoch. Zum einem Teil traurige Bilder. Jedoch auch Bilder, die Mut machen und gemacht haben: friedliche Bilder. Doch das konnte ich erst sehr viel später realisieren. Du siehst, auch sechs Jahre sind kein verlässlicher Schutz.

Die traurigen Bilder brauche ich nicht zu schildern. Die kennst du selber. Meine Frau starb auf der Intensivstation. Es kam zu schnell für ein Hospiz. Alles lief ab innerhalb von fast genau 24 Stunden. Was war für uns friedlich, gut? Ein Einzelzimmer. Ok, nicht so schön wie im Hospiz, doch ungestört und trotzdem nie alleine. Gut versorgt. Meine Frau durch die Medizin, wir mit Essen, Trinken, Gespräche, sogar eine Schlafgelegenheit stellte man ins Zimmer (niemand wusste, wie lange es dauert) ... man versuchte uns das Gefühl von Geborgenheit zu geben. Man ließ uns andererseits den Raum und die Zeit. Ein friedliches Bild auch: wir. Das waren die Kinder, ich, ihre beste Freundin mit Lebenspartner und meine Frau. Friedlich: meine Frau schlief, die Atmung regelmäßig und frei wie seit Monaten nicht mehr. Friedlich: wir haben gebetet, sind unseren Gedanken nachgegangen und haben uns Geschichten erzählt. Weißt du noch? Damals? Und dabei auch mal gelacht. Als sie einfach zu atmen aufhörte, kam eine Pflegerin zu uns und öffnete das Fenster und man ließ uns Zeit, uns zu verabschieden. Wir sind dann auch nicht einfach nach Hause entlassen worden, sondern ich hatte noch ein längeres und einfühlsames Gespräch mit dem Arzt.

Nachdem wir uns nochmal, jeder einzeln, von meiner Frau verabschieden konnten, sind wir dann nach Hause. Traurig, ja, doch auch erlöst. Still, doch frei. So, wie meine Frau, ihre Mutter, Ihre Freundin gestorben ist. Der Schock kam erst in der Wohnung und das dann heftig. Die o.a. friedlichen Bilder kamen eigentlich recht schnell. Doch wie so oft: es dauert lange, bis sie verinnerlicht sind. Etwas zu wissen oder zu erkennen heißt noch lange nicht, es auch leben zu können. Daran muss man schwer arbeiten.

Wir hatten das Glück, es so zu erleben. Glück in etwas anderem Sinne als normal. Es hätte auch ganz anders kommen können. Grausam, quälende Schmerzen, es ist oft so.

Diese Bilder musst du dir selber suchen und erarbeiten. Wie ich lese, hast du das ein oder andere bereits beschrieben. Dieses wahnsinnig tiefe Gefühl der Trauer braucht diese Bilder. Wie soll man diese tonnenschwere Last ansonsten er-tragen? Beide Seiten der Schulter müssen tragen, damit man einigermaßen ausbaĺanciert durchs Leben gehen kann. Ansonsten fällt man um. Das Leben wäre kein Leben mehr, nur noch ein Warten.


Liebe Grüße,

Helmut
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