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Alt 02.09.2014, 01:31
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HelmutL HelmutL ist offline
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Standard AW: Episoden und Geschichten

Hallo Hermann,

ich kann mich Jutta da nur anschließen. Auch meine verstorbene Frau und ich waren keine Engel. Wir haben Fehler gemacht, auch gestritten. Doch das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist doch, dass die Liebe groß genug war, das alles gemeinsam bestanden zu haben und das genau dadurch die Liebe von jung und stürmisch zu erfahren und bewusst gewachsen ist.

Den Tod der Ehefrau (oder -mannes) kann man nicht mit einer Scheidung zweier lebender Menschen vergleichen. Dieser Tod ist auch kein Freibrief in dem Sinne, ich könnte jetzt tun und lassen, was ich vielleicht bereits vorher schon wollte. Bei der Trauung hieß es: "Was Gott zusammenfügt, soll der Mensch nicht trennen" und dann "Bis der Tod euch scheidet". Das heißt in den Augen der Kirche: man darf sich wieder auf's neue verlieben und binden, denn der Einzige, der zwei Menschen trennen darf, ist der Tod. Da ist kein Muss und keine Zeitangabe, hat auch absolut nichts mit der Trauer, ob ja oder nein, zu tun. Die Witwe oder der Witwer ist wieder frei, nicht mehr verheiratet. Nicht mehr und nicht weniger.

Was das gesellschaftliche betrifft, so gab es früher das sogenannte Trauerjahr. Nach diesem Trauerjahr konnte niemand mehr eine Witwe oder einen Witwer verurteilen, die oder der sich wieder gebunden hat. Auch früher stieß es teilweise auf Unverständnis, wenn sie es nicht taten. Oft war es sogar notwendig, wenn der/die Partner/in mit 6, 7 oder 10 Kindern unversorgt alleine zurück blieb. Es ist Unsinn, möchte man jede alte Traditionen eins zu eins in unser heutiges Leben übernehmen, ohne zu fragen, ob sie heute tatsächlich noch Sinn machen und ohne sie in ihrem Kontext zu hinterfragen.

Wir dürfen heute trauern. So kurz oder so lange, wie es für uns richtig ist. Es ist mir persönlich nicht wichtig, dass die Gesellschaft mich versteht. Es ist mein Leben! Ich muss meine Trauer nicht jedem auf die Nase binden, doch ich verstecke sie nicht.

Eine neue Partnerin oder Partner: das ist doch kein Ersatz?? Wer das sucht, wird garantiert Schiffbruch erleiden. Es wäre zudem eine Beleidigung meiner verstorbenen Frau und meiner Lebensgefährtin, sollte ich Ersatz suchen. Ersatz wofür? Für's Kochen, Strümpfestopfen oder, ganz offen gesagt, für's Bett, also ein (wie man bei uns sagt) Bratkartoffelverhältnis? Oder etwa Ersatz für die Liebe? Ersteres kann man tatsächlich 'ersetzen'. Das kann auch eine Haushaltshilfe leisten oder andere. Doch kann man die Liebe zu unseren Verstorbenen ersetzen? Niemals.

Man kann eine neue Liebe finden. Wenn man möchte. Mit allem, was dazu gehört. Mit Schmetterlingen im Bauch und zitternden Knien. Wenn man möchte. Die Liebe zu unserer verstorbenen Frau/Mann stirbt dadurch nicht auch noch. Sie bleibt. Genau wie die Trauer. Wenn man eine neue Liebe findet, so ist das kein Verrat. Wann oder wie oder überhaupt, das muss und darf jeder für sich selbst entscheiden. Das ist der 'Freibrief' heute.

Über eins sollte man sich allerdings im klaren sein: wenn, dann wird das eine ganz andere Beziehung, als es früher war. Beide Seiten brauchen viel Verständnis für die besondere Situation des jeweils anderen. Damit diese Beziehung sinnvoll Bestand hat, ist Offenheit der Gefühle und Gedanken ein Muss. Ist die neue Liebe nicht zufällig ebenfalls Witwe (oder umgekehrt), so geht sie unter Umständen eine Beziehung zu dritt ein: der Mann, die Trauer und sie. Ist sie ebenfalls Witwe, dann sind es vielleicht sogar vier. Das ist ein Problem, welches man früher gar nicht hatte und das, wenn nicht gelöst, alles andere zerstören kann. Zum einen die neue Liebe, zum anderen vielleicht auch zwei Menschen. Es ist also gar nicht so einfach, denn die Liebe zu unseren Verstorbenen bleibt in unseren Herzen und die Trauer endet niemals ganz.

Ich habe seit 3 Jahren eine neue Liebe. Seit gut 2 Jahren sind wir fest zusammen. Wir leben quasi zu viert. Es geht, sehr gut sogar. Es gibt keine Eifersucht auf die verstorbenen Partner. Wir haben lange darüber gesprochen und tun es heute auch noch und nennen sie beim Namen: sie sind weder verdrängt noch ersetzt noch vergessen.

Es ist schön und es ist richtig. Wenn man möchte.

Nicht alles, was wir nicht verstehen ist deswegen falsch. Man kann jedoch vieles falsch verstehen, wenn man in seinem Kokon sitzen bleibt.

Die Gesellschaft ist ein gesichtsloser Brei, der aus vielen einzelnen Gesichtern besteht. Doch jedes einzelne Gesicht ist das Gewürz in diesem Brei und bestimmt seinen Geschmack.


Liebe Grüße,

Helmut
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