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Alt 21.11.2005, 17:48
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Rudolf Rudolf ist offline
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Standard AW: Offener Brief an den Krebs

Hallo an alle,
meine Lebensphilosophie mit wenig Worten zu beschreiben, ist nicht leicht.
Ein wenig kann man meiner Signatur entnehmen. Und natürlich kann ich
für niemand anderen sprechen als für mich selbst.
Ein jeder hat andere Erfahrungen mit dem Krebs, wie Du, Jutta, mal wieder schön beschrieben hast.
Ein jeder hat aber auch seine eigene Einstellung zum Krebs wie zum Leben überhaupt. Und ich weiß
und akzeptiere, daß Wut die häufigste und eine ganz normale Reaktion ist. Einem Problem eine Gestalt,
Form, Farbe usw. zu geben, ist nach meiner Kenntnis auch die Basis der "Gestalttherapie".
Auch die Ärztin Elisabeth Kübler-Ross hat mit einer Therapieform gearbeitet, bei der der Klient
auf einem großen Kissen herumschlagen konnte, sollte, durfte, um Aggressionen und Ärger loszuwerden.
So hast Du, liebe Daniela, von Dir aus ein gutes Ventil gefunden.

Du, Katrin, hattest geschrieben:
Zitat:
Zitat von KatrinR
. . . zuvor würde ich mich bedanken, dass ich mich, bei dem ganzen mist,
wenigstens mich selbst, besser kennengelernt habe . . .
Das hörte sich für mich wie Dankbarkeit für eine gewonnene Erkenntnis an. Gegenüber wem?
Logischerweise dem Krebs gegenüber. Von niemand anderem war die Rede. Also muss doch der Krebs
eine Art Lehrer oder Freund gewesen sein, von dem Du etwas gelernt hast, was Du ohne ihn nicht
gelernt hättest, oder vielleicht nicht so schnell.
Einem Feind kann man nicht dankbar sein. Oder doch?

Der Arzt Dr. Rüdiger Dahlke schreibt in seinem Buch "Krankheit als Weg": „Krebs braucht nicht besiegt,
er muss nur verstanden werden.“ So schwierig und unbequem das sein mag, diesen Weg wollte ich bewusst
gehen. Mit Mut statt Wut, mit Freude statt Angst. Nachdem ich angefangen hatte, meine Gedanken und
Erfahrungen aufzuschreiben und ein wenig zu sortieren, gab ich meinem Skript den Titel "Mein Freund, der Krebs".
Zugegeben, es ist eine harte und unbequeme Freundschaft. Und ich bin durchaus nicht lieb und nett gegen ihn.
Aber ich sage ihm immer wieder, dass ich verstanden habe und er nun gehen kann. Jetzt endlich, nach 5 Jahren,
scheint er verstanden zu haben.
Dass ich verstanden habe.

Vor fast 3 Jahren begegnete ich einem Kopatienten, der ebenfalls seinen Aufzeichnungen den Titel
"Mein Freund, der Krebs" gegeben hatte. Und schon vor Jahren entdeckte ich, dass es bereits ein Buch
(Kurt Becker) mit diesem Titel gibt, das aber vergriffen ist. Jetzt endlich fand ich es in einem
Antiquariat und bestellte es sofort. Ich bin sehr gespannt.
Ich bin mir sehr wohl bewusst, wo mein eigener (psychischer) Anteil an meinem Krebs liegt. Es klingt
schon seltsam, wenn ich sage: danke Krebs, dass du mich zu mir zurückgebracht hast.
Der Krebs ist andererseits kein Fremdkörper wie z.B. Bakterien und Viren.
Es sind Zellen meines eigenen Körpers, die sich selbständig gemacht haben und wild geworden sind.

So fällt es mir schwer, den Krebs zu hassen.
Ich müsste mich selbst hassen. Hass ist außerdem eine Geisteshaltung, die mir sowieso nicht liegt.
Man verschwendet viel Energie damit, die man besser für anderes brauchen kann.
Und wozu braucht man überhaupt Feinde? Ich erkläre niemanden zu meinem Feind.
Wenn sich jemand anderes zu meinem Feind erklären sollte, ist das sein Problem, nicht meines.
Jeder Schuss geht in zwei Richtungen, und am Rückstoß kann man sich gefährlich verletzten.
Ich erwarte von niemandem, dass er meine Gedanken und meinen Weg übernimmt. Für mich
ist er der einzig mögliche. Ich werde ihn weitergehen.
Ich wünsche jedem Erfolg auf dem Weg, den er für sich als richtig erkannt hat oder erkennen wird.
Deine Signatur, Daniela, finde ich sehr gut und wichtig. "Deine Gedanken sind Dein Werkzeug!"
Vor 2000 Jahren schrieb Marc Aurel: Mit unseren Gedanken erschaffen wir unsere Welt.
Liebe Grüße
Rudolf
__________________
Ich habe Krebs - aber ich bin gesund!
(Nieren-Op. Nov. 2000, Mistel seit Sept. 2001, anfangs >15 Lungenmetastasen, seit 2003 noch eine, seit 2006 ruhend, 2018 operativ entfernt)

Ich kämpfe nicht gegen den Krebs, sondern für das Leben.
Nein, ich kämpfe nicht, ich lebe!
Mein Krebs ist nicht mein Feind, er ist Teil meines Körpers. Ich will ihn verstehen.
Angst ist Gift für den Körper . . . . . und noch mehr für die Seele.
Entscheiden Sie sich für das Leben, sagte eine Psychologin . . .

Geändert von Rudolf (29.10.2023 um 22:00 Uhr)
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