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Alt 17.11.2009, 14:29
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Kerstin22 Kerstin22 ist offline
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Standard AW: Krebs und Studium

Willkommen Katze,
auch wenn das hier selten ein guter Anlass ist!
Ich habe schon alle möglichen Kombinationen mit Behandlungen und Studium ausprobiert. Bestrahlungen und Uni, Chemos und Uni, Behandlungen ohne Uni und jetzt bin ich bei Uni ohne Behandlungen angelangt.
Im ersten Semester habe ich zu 100 % studiert und wurde drei Wochen lang bestrahlt. Das war rein psychisch und körperlich sicher auch sehr grenzwertig. Da war ich psychisch und körperlich am Ende, besonders da im ersten Semester wohl zusätzlich noch gesiebt wird. Da saß ich echt kurz vor Weinachten im Bestrahlungskeller unterm Plastik-Weihnachtsbaum und habe Hausaufgaben gemacht. Ich habe zwar letztlich gute Noten erzielt, würde aber von so einer krassen Doppelbelstung abraten. In meinem zweiten Fachsemester habe ich ungefähr 50% der Kurse belegt und war zwischenzeitlich wegen Chemos im Krankenhaus mit einer neuen Krebsdiagnose. Da ich aber unbedingt meine Prüfungen machen wollte, war meine Motivation deutlich erhöht. ich habe - ohne Scheiß- während der Chemo in meinem Krankenhauszimmer Mathe gelernt und bin da wohl durch die Anforderungen deutlich gewachsen. In den letzten Wochen vor den Klausuren bin ich dann mit Glatze, Mundschutz und Taxi in die Uni gefahren. Hat sie auch gelohnt, denn ich habe beide Klausuren mit 1,0 bestanden. Wenn es schon am Anfang des Semester festgestanden hätte, dass ich Behandlungen bekomme, hätte ich aber nicht so viel Kurse belegt. Für zwei Stammzelltransplantationen habe ich schon jeweils ein Urlaubssemester genommen, was natürlich auch dringend nötig war.
Die Bestrahlungen selber haben mich außer zeitlich kaum eingeschränkt. Chemos waren schon haariger, weil ich immer unterschiedliche Nebenwirkungen hatte. Das ist auch mal grenzwertig. Nur eine Klausur am Ende hört sich machbar an, aber jeder Mensch ist anders und verträgt die Behandlungen unterschiedlich. Mich hat die Uni eher motiviert, weil ich meinem Ziel weiterhin nachgegangen bin.
Meine Konzentration hat scheinbar nicht gelitten, mehr meine Psyche durch die Doppelbelastungen. Besonders da ich trotz allem sehr zielstrebig bin und es lange gedauert hat bis ich begriff, dass man als Krebskranker auch langsamer studieren darf. Jetzt sag ich mir immer, dass ich es nicht mehr nötig habe mir so viele Kurse aufzuhalsen. Auch im Bachelor-System hackt dir keiner den Kopf ab, wenn man langsamer studiert. Ohne Überleben auch kein Studium, also muss man erstmal für die Grundvoraussetzung sorgen. Du kannst mich gerne zu konkreten Fragestellungen befragen. Ich bin da Experte im Dasein zwischen Krebsbehandlungen und Studium.
Liebe Grüße
Kerstin
P.S. Weil ich am Wochenende durch die Gegend getingelt bin (Stipendien-Seminar), habe ich jetzt erstmals in diesem Semester wirklich das Gefühl Stress zu haben, weil ich bis Donnerstag mein Mathebogen fertig haben muss und meine Mathekomilitonen schwächeln.
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Morbus Hodgkin, II B mit Riskofaktor, ED 4/06, 8x BEACOPP eskaliert,Bestrahlung, 1. Rezidiv 03/07, 2x Chemo mit DHAP, 20.06.07 SZT; Bestrahlung;Reha, 2. Rezidiv, 18.04.08 allogene SZT, 03.06.08 komplette Remission , 2019: Knoten im Brustkorb, 03/19 ED Peripherer Nerventumor, 6 Zyklen Chemo, Bestrahlung, OP, bestätigte Remission 01/20
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