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Alt 01.02.2011, 14:20
Silvia Z. Silvia Z. ist offline
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Standard AW: Mutmach-Geschichten - Erfahrungsberichte Nierenzellkarzinom

Krankengeschichte
Tumor pT3b pNx G1 – 2 RO

01/2006 Diagnose fortgeschrittenes Nierencellkarzinom rechts mit Metastasen in beiden Lungen
01/2006 komplette Entfernung der rechten Niere
03/2006 Keilresektionen Lungenmetastasen links
06/2006 Immun-Chemo-Therapie
10/2006 Herzinfarkt während Immun-Chemo-Therapie
11/2006 bis 05/2007: Nexavar 2 x 400 mg
05/2007 Sutent 50 mg
10/2007 Keilresektion Lungenmetastasen rechts
12/2007 zweite Keilresektion Lungenmetastasen links
02/2008 Reduktion Sutent 37,5 mg wegen Nebenwirkungen
09/2009 Lokalrezidiv rechts - OP nach Traverso (Entfernung Teile des 12-Finger-Darms, der Galle und Teil der Bauchspeicheldrüse)
01/2010 Afinitor 10 mg
02/2010 Reduktion Afinitor 5 mg wegen erhöhter Leberwerte
04/2010 Leberteilresektion und Nierenteilresektion links
08/2010 bis heute erneut Nexavar 2 x 400 mg


Nicht mit mir
(Silvia, Jahrgang 1958, klarzelliges Nierenzellkarzinom seit 2006)

Es ist Ende August 2005. Mein Mann Michael und ich freuen uns auf unseren Urlaub auf Rügen. Wir hatten Glück mit dem Wetter. Haben viel gesehen. Mir ging es allerdings nicht so gut. Morgens war mir oft übel – meistens konnte ich nur ein halbes Brötchen essen. Habe es auf meine Blutdrucktabletten geschoben, die ich seit einiger Zeit nehmen musste. Nachmittags nicht wie früher ein Stück Kuchen oder ein Eis, abends mit Mühe eine Suppe oder Salat. Ich hatte einfach keinen Appetit und bin zwei Kilos leichter nach Hause gekommen. Früher waren es eher zwei Kilos mehr. Da ich sowieso einige Kilos zuviel hatte, habe ich mich eher gefreut und mir nichts dabei gedacht. Dass mir in letzter Zeit auch meine Fingernägel immer wieder abgebrochen sind, habe ich auf meine verringerte Ernährung geschoben.

Da die Übelkeit am Morgen nicht nachließ, bin ich zu meiner Hausärztin. Es wurde beschlossen, die Dosis der Blutdrucktabletten zu halbieren und die Blutwerte zu kontrollieren. Da ich zu diesem Zeitpunkt im Büro etwas mehr Arbeit hatte, dachten wir, die Appetitlosigkeit käme vom Stress. Nach vier Wochen, zwischenzeitlich hatte ich vier Kilos abgenommen, bin ich wieder zu meiner Ärztin. Ein erneutes – großes – Blutbild zeigte schlechte Leberwerte. Meine Ärztin meinte, es gäbe jetzt noch eine Blutuntersuchung zur speziellen Abklärung, die allerdings die Krankenkasse nicht bezahlen würde. Sie kostete mich 15 Euro. Die Blutabnahme erfolgte kurz vor Weihnachten. Eine Besprechung der Werte sollte im neuen Jahr stattfinden. Dabei empfahl mir meine Ärztin zur weiteren Abklärung eine Computertomographie (CT) des Oberbauches.

Der Termin für das CT war am 12. Januar 2006. Ich erhielt die Diagnose fortgeschrittenes Nierenzellkarzinom, das bereits in beide Lungenflügel Metastasen gestreut hatte. Der Radiologe meinte, ich müsse mich auf mehrere Operationen einstellen.

Dann nahm alles seinen Lauf. Eigentlich wollte ich nur meine Schwester Karin, die als Krankenschwester im Krankenhaus arbeitet, anrufen, und fragen, was ich jetzt machen müsse. Dass sie zwischenzeitlich in der Urologie arbeitete, wusste ich nicht. Das aber war ein glücklicher Umstand. Sie sprach mit ihrem Professor und der wollte sich meine Unterlagen noch am selben Tag anschauen.

So konnte ich noch am selben Tag in das Krankenhaus und am Freitag, den 13. Januar, wurde meine rechte Niere komplett mit dem Tumor entfernt. Dieser Tag war kein Unglückstag für mich. Nach über viermonatiger Suche nach dem Grund für mein Unwohlsein und meine Appetitlosigkeit – zwischenzeitlich hatte ich 10 Kilos abgenommen – waren wir alle froh, den Grund gefunden zu haben. Ich erinnere mich noch an ein Gespräch bei der Visite am Tag nach der Operation. Ich fragte den Arzt, wann ich denn wohl wieder normal essen könne. Er sagte, das würde schneller gehen, als ich mir denken könne. Er sollte Recht behalten. Bereits am nächsten Tag hatte ich normalen Appetit und konnte ein halbes Mittagessen zu mir nehmen. In den nächsten Tagen konnte ich bereits das ganze Mittagessen zu mir nehmen.

Nach neun Tagen wurde ich aus der Klinik entlassen. Mein Mann hatte zwei Wochen Urlaub, in denen er mir sehr zur Seite stand. Am Anfang konnte ich wegen der OP-Schmerzen nicht ohne seine Hilfe aus dem Bett aufstehen.

In der darauffolgenden Zeit habe ich auch eine enorme Nachbarschaftshilfe kennengelernt. Als die Nachbarn so nach und nach mitbekommen hatten, dass ich krank geworden war und operiert werden musste, haben viele ihre Hilfe angeboten. Eine Nachbarin geht seit dieser Zeit öfter mit mir spazieren, damit ich wieder und wieder zu Kräften komme – und das jetzt schon seit fast vier Jahren. Die eine jätet Unkraut im Vorgarten und die Nachbarn auf der anderen Seite kehren den Gehweg.

Im März 2006 stand dann die erste Lungenoperation an, Ende April sollte die zweite sein. Dazu kam es nicht, da bei der dazu erforderlichen Kontrolluntersuchung festgestellt wurde, dass sich innerhalb der kurzen Zeit auf der frisch operierten Seite bereits schon wieder neue Metastasen gebildet hatten. Es wurde von einer Operation abgesehen, da man davon ausgehen musste, dass sich noch neue Metastasen bilden. Die nächste Option war die Immun-Chemo-Therapie mit Interferon, Interleukin und 5-FU. Diese Zeit war sehr anstrengend, mit Gewichtsabnahme und Haarverlust verbunden. Es hat sich zwar keine Glatze entwickelt, aber durch den büschelweisen Haarverlust war es nötig, meine fast 40 cm langen Haare abzuschneiden. Jede Frau, die lange Haare hat, wird wissen, was das bedeutet. Über ein halbes Jahr hatte ich dann eine Perücke.

Im Oktober kam dann aber der größte Schock – die Immun-Chemo-Therapie war für meinen Körper anscheinend zu anstrengend – am 8. Oktober hatte ich einen Herzinfarkt.

Abends um ca. 21.00 Uhr wurde mir ein Stent eingesetzt und ich lag zwei Tage auf der Intensivstation.

Die Konsequenz war, dass die Immun-Chemo-Therapie sofort abgesetzt werden musste. Zwischenzeitlich waren seit Juli Medikamente zugelassen. Im November 2006 habe ich mit Sorafenib angefangen, einem Wirkstoff, der die Wachstumsrate der Krebszellen verlangsamt.

Das Ergebnis des ersten Kontroll-CTs war wunderbar: Die Metastasen in der Lunge waren kleiner geworden und es waren keine neuen dazu gekommen.

Drei Monate später die Ernüchterung: Die Metastasen waren wieder gewachsen. Zwischenzeitlich weiß ich, dass bei diesen Medikamenten nach einer gewissen Zeit eine Immunität eintreten kann. Weiter ging es mit dem nächsten Wirkstoff: Sunitinib in der Dosierung 50 mg ab Ende Mai 2007.

Beim ersten Kontroll-CT die Freude: Die Metastasen waren wieder kleiner geworden und keine neuen dazu gekommen. Da seit April 2006 keine neuen Metastasen hinzugekommen waren, wuchs in mir der Wunsch abzuklären, ob jetzt doch eine operative Entfernung der Lungenmetastasen möglich wäre. Die ärztlichen Meinungen hierzu gingen auseinander: Der eine sagte ja, der andere sagte nein.

Die Chirurgin der Thorax-Klinik, die mich auch schon im März 2006 das erste Mal operierte, fragte mich, was ich wolle: Die Metastasen waren zum Glück operabel. Ich wollte die Dinger endlich draußen haben. So kam es zu zwei weiteren Lungen-Operationen: die rechte Seite im Oktober und die linke Seite im Dezember 2007.

Sunitinib nahm ich weiterhin; ab Februar 2008 wegen der heftigen Nebenwirkungen mit reduzierter Dosis von 37,5 mg. Ab diesem Zeitpunkt waren die Nebenwirkungen erträglich. Mein Mann und ich haben unsere Freizeitaktivitäten und unsere Urlaubsreisen in die einnahmefreie Zeit gelegt. Über ein weiteres Jahr waren die Kontroll-CTs immer ohne Befund: Keine neue Metastasen.

Im Juli 2009 wurde beim Kontroll-CT eine Raumforderung im Zwölffingerdarm entdeckt. Bei einer Magenspiegelung mit Biopsie im August wurde eine Metastase des Nierenzellkarzinoms diagnostiziert. Diese Metastase war aus dem Nierenfettgewebe in den Zwölffingerdarm hineingewachsen, und zwar in der Nähe der Stelle, an der die Galle und die Bauchspeicheldrüse in den Darm münden.

Am 1. September erfolgte eine siebenstündige Operation nach Traverso: Es wurde die Gallenblase, ein Teil der Bauchspeicheldrüse und ein 17 cm langes Stück des Zwölffingerdarms entfernt.

Im Januar 2010 war das nächste Kontroll-CT.
Ergebnis: Die Wunde nach der Traverso-Operation ist reizlos abgeheilt aber – es zeigt sich eine suspekte Formation am linken Nierenunterpol – meiner einzig noch verbliebenen Niere. Außerdem sieht man vergrößerte Lymphknoten.

Nach nur fünf Monaten Ruhe war das schon wieder ein Schock. Mit meinem Arzt habe ich beschlossen, eine Therapie mit Everolimus zu beginnen und in ca. sechs Wochen eine Kontrolle zu machen.

Die Nebenwirkungen von Everolimus waren nicht körperlicher Natur. Aber die Blutwerte veränderten sich nach vier Wochen derart, dass ich eine Woche pausieren musste und die Dosis von 10 mg auf 5 mg reduziert wurde. Außerdem entwickelte sich nach acht Wochen eine Diabetes Mellitus, wie in den Nebenwirkungen beschrieben, so dass ich eine zeitlang regelmäßig meine Zuckerwerte kontrollieren und Insulin spritzen musste.

Das MRT am 29. März 2010 bestätigte leider die Raumforderung der linken Niere und welch ein weiterer Schreck – es wurde in der Leber eine Läsion entdeckt mit dem Verdacht auf eine Metastase.

Folge: Am 23. April folgte eine Nieren- und Leberteilresektion. Der Operationsschnitt erfolgte an der gleichen Stelle wie der Schnitt von der Traverso-Operation vom vergangenen September über den ganzen Bauch. Der Arzt, der die Traverso-Operation gemacht hatte, operierte meine Leber und mein betreuender Urologe operierte meine Niere.

Zwischenzeitlich hatten zwei Kontroll-Untersuchungen stattgefunden: Fazit: Stabile Erkrankung.

Da ich immer noch eine Metastase im rechten Lungenflügel habe, die aber seit drei Jahren eher größenkonstant ist, nehme ich seit vier Monaten wieder Sorafenib, das ich schon im November 2006 genommen habe. Meine Haare, die in den letzten drei Jahren wieder sehr schön gewachsen waren sind mir fast alle ausgegangen, aber meine neue Perücke steht mir sehr gut.

Rückblickend kann ich sagen, dass die Diagnose zwar niederschmetternd war. Trotzdem waren wir froh, dass damals endlich der Grund gefunden wurde, warum es mir immer schlechter ging.

Mein Mann hat sich zwischenzeitlich zu einem guten Hausmann entwickelt. Er kann zwar immer noch nicht kochen, aber beim Einkaufen ist er unschlagbar geworden, wenn ich mal nicht mit kann. Und eine Überraschung bringt er mir auch immer mit.