Thema: Neu betroffen
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Alt 10.01.2020, 18:38
Rei87 Rei87 ist offline
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Standard AW: Neu betroffen

Januar 2020. Vergangene Woche haben sich Diagnose und Krankenhausaufenthalt zum dritten Mal für mich gejährt. Die letzten 12 Monaten waren "anders" als die Jahre zuvor. Dass die Intervalle zwischen den Untersuchungen (zumindest theoretisch) größer geworden sind, begrüßen Körper und Geist sehr. Vor allem dass ich nicht mehr so häufig zur Bildgebung musste, hat ein Stück weit verschnaufen lassen. Blut und Ultraschall lasse ich auf Angebot meines Uros nämlich weiterhin alle 3 Monate kontrollieren bzw. durchführen. Das mag ein Überangebot fernab der Leitlinien sein, aber für mich ist es ein Stück weit auch wie ein Netz mit doppeltem Boden. Und es schadet ja auch nicht. Überhaupt schätze ich sehr, dass ich zum Doc und seinen Helferlein inzwischen ein recht vertrautes Verhältnis pflege. Das heißt zwar nicht gerade, dass ich gerne dort aufschlage, aber ich fühle mich gut aufgehoben und als individueller Patient wahrgenommen. Anders als zu Anfang, als man (sich) ständig noch erklären musste, obwohl man einfach nur vergessen wollte...

Körperlich geht es mir sehr gut. Entgegen meines Posts im vergangenen Januar habe ich in 2019 tatsächlich noch ein paar Dinge geändert und mich intensiver mit Sport und meiner Ernährung auseinander gesetzt. Dass ich jetzt im Gym bin, hat mich bisher zwar nicht sonderlich in die Breite getrieben, aber ich Rede mir ein, anders als früher erfolgreich damit Prophylaxe zu betreiben. Geschadet hat es mir bisher jedenfalls nicht, 3-4 Stunden in der Woche in Bewegung zu sein. Meine Hormonwerte danken auch. Völlerei kann ich noch immer gut, aber nur noch selten. An Feiertagen z.B. oder im Urlaub. Letzteres hatte ich mir für 2019 ohnehin ganz groß auf die Fahne geschrieben: Ich war viel unterwegs, kreuz und quer in Europa. Manchmal 2 Wochen, manchmal nur 1-2 Tage. Das hat meine Ökobilanz zwar deutlich nach unten geschraubt, aber ich bin mir sicher, dass wir vom Schicksal Gebeutelten da durchaus etwas gut haben. Ich liebe es jedenfalls. Es tut mir gut. Mehr als alles andere. Und ich werde und will 2020 gar nicht erst anders angehen.

Ebenfalls in 2019 sind Dinge passiert, die mich insbesondere im "Stadium der Ungewissheit" während der Chemo sehr beschäftigt haben; zu einem Zeitpunkt, als ich die viele freie Zeit genutzt habe, um ausgesprochen viel Revue passieren zu lassen. In meiner damaligen Situation war das nicht ganz so gut, weil natürlich auch Fehler und Misserfolge ins Bild rückten und das zusätzlich auf die Psyche gedrückt hat. Heute bin ich jedoch dankbar, dass ich daraus auch Konsequenzen für mich gezogen habe. Reisen sind da nur ein Thema. Aber auch Zeit für die Familie und Freunde. Andererseits kann ich inzwischen auch wieder recht gut mit mir alleine sein, was kurz nach der Chemo (getrieben wie ich war) quasi unmöglich gewesen ist. Und auch Faulsein klappt wieder gut. Ohne die anfänglichen Gewissensbisse, Freizeit falsch genutzt zu haben. Hinzu kamen im letzten Jahr auch für mich wichtige Ereignisse, von den ich damals gehofft hatte, dass ich wieder gesund sein würde, sie mitzuerleben: Hochzeiten, Geburten, runde Geburtstage.

Und die "Liebe". Keine der Art, die ein gutes Ende zu berichten weiß, aber mit Ende 20 weder Beziehung noch Kinder zu haben und dann Krebs diagnostiziert zu bekommen... Für mich war das wie ein zusätzlicher Schlag in die Fresse. A la "So, das hast jetzt davon. Hättest die letzten Jahre mal besser Gas gegeben. Da musst jetzt alleine durch. Und danach wird's auch nicht einfacher." Alleine war ich freilich nicht. Aber einfacher war und ist es seither auch nicht. Wann berichtet man davon, wenn man jemanden kennenlernt? Bereits beim ersten Gespräch? Vor dem ersten Sex? Besser danach? Und kann der andere überhaupt damit umgehen? Ich denke nur noch bemerkenswert wenig an die Diagnose, aber um mich als Person zu verstehen, gehört das Wissen darum doch auch dazu, oder? Und auch Ehrlichkeit. Ich habe es vielleicht nicht geschickt angestellt, aber es war jedenfalls kein Problem. Dass das Ganze nicht gut geendet ist und ich anschließend ein wenig gelitten habe, hat mir jedenfalls auf geradezu lächerliche Art und Weise gezeigt, wie schnell bei all dem Alltag selbst eine Krebsdiagnose in den Hintergrund geraten kann.

Vielleicht findet sich der ein oder andere hier wieder. Ich freue mich jedenfalls immer, wenn ich hier im (Gott sei Dank wieder aufgetauchten) Forum von den vorwiegend positiven Behandlungs- und Nachsorgeergebnissen zu lesen. Das gibt mir mehr Zuversicht als jedes Arztgespräch oder Schulterklopfen ... Einen guten Start in 2020 und viel Gesundheit und Erfolg euch allen.

Rei87
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