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Alt 23.06.2014, 02:08
Sild Sild ist offline
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Standard Gestern Dreamteam, heute Einzelkämpferin



Liebes Forum,

da ich nicht weiter weiß, schreibe ich mir hier einfach mal alles von der Seele.

Mein Freund ist Ende März im Alter von 25 Jahren gestorben. Wir haben eine gemeinsame Geschichte von 8 Jahren und hatten in uns etwas besonderes gefunden. So nah wie ihm habe ich mich bisher niemandem gefühlt und ich weiß, dass er genauso empfand. Er war mein bester Freund. Und meine große Liebe.

Aufgrund von schwierigen Familienverhältnissen kämpften wir den Kampf gegen den Darmkrebs ausschließlich gemeinsam. Familiäre Unterstützung seiner Familie? Fehlanzeige. Obwohl 1 Jahr lang bekannt war, dass mein Freund an seiner Krebserkrankung sterben würde. Meine Familie stand ihm leider nicht nahe genug und befand sich selbst in einer tiefen Krise.

Eigentlich befand ich mich den Großteil der Woche in einer anderen Stadt, wo ich studierte und arbeitete. Aber aus einem Gefühl heraus kündigte ich von einem auf den anderen Tag meinen Job und unterbrach das Studium, um zu meinem Freund zu ziehen. Er freute sich sehr. Das war ein paar Monate vor seinem Tod. Wir wollten noch so viel schöne Zeit wie möglich zusammen verbringen, Dinge unternehmen, gemeinsam erleben. Leider verschlechterte sich sein Zustand schon eine Woche, nachdem ich zu ihm kam so sehr, dass er sehr viel schlafen musste. Trotzdem raffte er sich immer wieder auf, wollte leben. Er war so stark, ich habe das so sehr bewundert. Und er hat nie gejammert. Er hat sogar einmal gesagt, dass die Zeit gerade mit mir eine der schönsten Zeiten in seinem Leben ist - trotz Krebs.

Wir weinten zusammen. Wir gaben uns gegenseitig Trost. Mal war ich stark für ihn, mal war er stark für mich. Manchmal - wenn die Nerven von uns beiden Blank lagen - gab es bei uns Streit. Er konnte es manchmal nicht verkraften, wenn er merkte, dass ich traurig war. Und ich konnte es manchmal nicht verstecken. Dann flogen die fetzen, wir machten uns Luft, dann haben wir uns vertragen. Wir zwei hatten den Großteil der Zeit weder physische noch seelische Unterstützung, obwohl wir sie gebraucht hätten. Wir waren rückblickend einfach überfordert, was dann zu Reiberein zwischen uns führte, die unnötig Kraft zerrten.

Die letzten Wochen unterstützte uns ein Krankenpfleger. Ich musste in dieser Zeit an meine Grenzen gehen, sie vielleicht sogar überschreiten. Was vor wenigen Wochen noch unmöglich schien, wurde einfach möglich. Der Krankenpfleger zeigte mir, wie ich meinem Freund über den Port Medikamente spritze. Ich erledigte Haushalt und Einkauf, kümmerte mich um meinen Freund, gab ihm spritzen, rief im Notfall Hilfe an, beruhigte ihn bei Panik, bewahrte Ruhe. Wenn mein Freund starke Schmerzen hatte, schrie und wimmerte er. Manchmal hat er gefleht, ich solle ihm helfen. Manchmal hat er Gott gebeten, ihn zu holen. Wenn der Schmerz vorrüber war, nahm er das allerdings immer zurück und entschuldigte sich bei mir, dass er sowas gesagt hat. Manchmal hat er so viel geschlafen, er hatte dann immer ein schlelchtes Gewissen mir gegenüber. Das brauchte er aber nicht. Ich informierte mich heimlich über Symptome bei bestimmten Komplikationen, um diese rechtzeitig zu erkennen und ihm gleichzeitig keinen Grund zur Sorge zu geben, obwohl ich selbst mir Sorgen machte. Jede Nacht hatte ich Angst, dass ich aufwache und mein Freund tot neben mir liegt. Wenn er viel Morphium nehmen musste, lag ich lange neben ihm wach und hörte, ob er atmet. Ich befand mich immer in Alarmbereitschaft, tagsüber und nachts, ich wachte sehr schnell auf. Ich begleitete ihn zu jedem Arzttermin, jeder einzelne war ein Rückschlag, den ich versuchte aufzufangen. Ich bemühte mich ihm leckeres Essen und viel Auswahl anzubieten und ihm sein schlechtes Gewissen zu nehmen, wenn er nicht essen konnte. Er dachte bei allem auch an mich. Und ich an ihn. Ich wollte ihm alles so schön wie möglich gestalten. Weil ich meinen Freund nicht allein lassen wollte, habe ich das Haus nur verlassen, um Medikamente zu holen oder einzukaufen. Zu sehr hatte ich Angst davor, dass etwas passiert und er alleine ist. Eine Freundin tat sich schwer, Verständnis aufzubringen. Aber ich hatte keine Wahl, wir waren alleine. Manchmal saß ich stundenlang an seinem Bett und sah ihm beim Schlafen zu, passte auf ihn auf.

Der Krankenpfleger teilte mir ca. 1 Monat vor dem Tod meines Freundes zwischen Tür und Angel mit, dass mein Freund nicht mehr so lange zu Leben hätte, wie uns die Ärzte glauben ließen. Gemeinsam hatten sie beschlossen, dass es das Beste wäre, ihm nicht das ganze Ausmaß mitzuteilen. Ich ging in die Wohnung, ins Badezimmer weinen. Nahm mich zusammen und setzte mich wieder in das Zimmer zu meinem Freund. Von da an trug ich ein Geheimnis in mir, was ich nur zuliebe meines Freundes überhaupt ertragen konnte. Es war die richtige Entscheidung. Aber die Anspannung war grenzenlos. Ich hatte chronischen Husten ungeklärter Ursache, der mittlerweile verschwunden ist.

Und wir waren allein. Wenn die Familie meines Freundes meinen Freund mal anrief, dann lies sie oft nicht aus ihm zu sagen, wie schwer das alles für sie sei. Manchmal warfen sie uns vor, dass wir uns ja nicht bei ihnen melden würden. Sie hätten einen Weg von 10 Minuten gehabt, um ihn mal zu besuchen. Die letzten 3 Monate seines Lebens passierte das nie. Auf ihn wurde keine Rücksicht genommen. Es tat mir so unendlich leid für meinen Freund, wie sich seine Familie verhielt.

Der Krankenpfleger sah, wie alleine wir waren und besorgte uns deshalb einen Platz in einem sehr guten Hospiz. Wir hatten Angst vor diesem Schritt, aber mein Freund entschied sich ihn zu gehen, weil er wusste, es könnte so für uns nicht weiter gehen. Das war das Beste, was uns zu diesem Zeitpunkt passieren konnte. Wir wurden endlich begleitet. Da schaffte es die Familie meines Freundes ihn auch zu besuchen. Allerdings sehr kurz, es wirkte wie ein Pflichtbesuch. Das Hospizpersonal merkte, dass die Familie meinem Freund nicht gut tut. Sie sagten, dass sie "Showlaufen" im Hospiz nicht abkönnen. Unsere Geschichte berührte sie. Ich erfuhr, dass die Mutter meines Freundes ihn aus dem Hospiz holen wollte und wollte, dass er zuhause stirbt. Ohne ihn zu fragen, er fühlte sich im Hospiz wohl und sicherer als Zuhause. Sie machten noch weitere Probleme, die das Hospizpersonal und ich zusammen von meinem Freund abschirmten.

Nach nichtmal 2 Wochen im Hospiz verstarb mein Freund, der bis zum Schluss die Hoffnung hatte, noch ein Hoch zu erleben. Er wollte nicht gehen. Und ich wollte auch nicht, dass er geht. Aber wir hatten uns alles gesagt. "Ich liebe dich, vergiss das nicht!" hatte er mal gesagt. Ich war bei ihm. Meine Eltern waren bei mir. Aber seine Familie war nicht da.

Und plötzlich war ich Einzelkämpferin. Jetzt soll ich alleine in das Leben zurück finden. Kann mich zwar vom Tod etwas abwenden, aber nicht dem Leben zuwenden. Ich fühle mich so verloren in der Welt. So allein. Ich empfinde zu niemandem Nähe. Als würde immer etwas zwischen mir und den anderen Menschen stehen. Ich kann mit niemandem gemeinsam trauern. Kann manchmal auch gar nicht trauern. Ich habe das Gefühl, dass die oberste Schicht stark genug ist. Fröhlich sein kann oder zumindest fröhlich spielen kann. Und je tiefer es geht, desto mehr bröckelt die Fassade. Da sitzt die Trauer irgendwo versteckt. Sie kann nicht so richtig raus. Zu lange habe ich sie versteckt. Wenn ich weine, dann selten und nur kurz. Nie befreiend. Manchmal denke ich, es geht mir gut. Und dann werde ich gefragt, wie es mir geht. Und dann bin ich ganz plötzlich den Tränen nahe, auch wenn ich vorher noch gelacht habe. Kann nicht mehr reden, habe einen Kloß im Hals. Dann weiß ich, dass ich mich selbst belüge. Ich habe niemanden zum Reden, weil meine Familie sich noch in der Krise befindet und keiner mehr Kraft hat, ich mag niemanden belasten. Meine besten Freunde fühlen sich verständlicherweise hilflos und weil ich sie nicht in eine unangenehme Lage bringen will, teile ich ihnen kaum mit, wie es in mir aussieht. Ich rede 3 Monate nach seinem Tod kaum noch von ihm. Obwohl ich ununterbrochen an ihn denke. Er fehlt mir so sehr, dass mir die Worte fehlen, um auszudrücken wie sehr. Ich weiß auch nicht, wohin ich mit meinen Gefühlen soll. Die Liebe verläuft plötzlich ins Nichts und scheint nirgendwo anzukommen. Außerdem kann ich leider nicht Glauben. Ich habe keine Vorstellung davon, dass sich mein Freund irgendwo befindet und auf mich wartet oder so. Es wäre schön, wenn es so wäre. Das würde mich sogar glücklich machen. Für mich ist er aber einfach weg. Nicht mehr da. Und wird nie mehr wieder kommen. Es wird uns nie wieder geben.

Während ich gerad schreibe, kann ich weinen und weiß, dass da Schmerz sitzt. So recht kann er nicht raus, er ist zu tief. Und ich frage mich, ob das alles normal ist.





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"Ich hab' was verloren
auf meinem Weg hierher
ich glaub' es wurd' mir gestohlen
jedenfalls fehlt es mir sehr."
(Moses Pelham - Wenn der Schmerz nachlässt)
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