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Alt 29.05.2008, 18:50
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Kerstin22 Kerstin22 ist offline
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Registriert seit: 18.07.2006
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Standard AW: Krebs und Studium

Hallo ihr Lieben!
Sorry, dass ich mich jetzt erst melde. War irgendwie so viel los und dann bin ich immer wieder aus dem Internet rausgeflogen. Deswegen schreib ich meinen Text erst mal in Word. Montag hatte ich auch noch ganz schlechte Laune. Dann habe ich noch mit meinem Vater rumdiskutiert. Der las gerade „Heute bin ich blond!“ und kam zu der Erkenntnis, dass es ein gutes Zeichen ist, wenn der Port raus genommen wird. Tolle Erkenntnis. Ich find das eher logisch. Das fand er merkwürdig, weil ich ja im Oktober ausgezogen bin, obwohl ich noch einen Port habe. Ich finde auch nicht, dass es im Umkehrschluss heißt, dass es ein schlechtes Zeichen ist, wenn der Port vorsichtshalber drin bleibt. Ich hab ja wohl mehr Ahnung von Aussagenlogik als mein Vater. Dann war ich bei meinem Oberarzt und habe ihm auch von meinen Befürchtungen erzählt. Am Dienstag machen wir ein PET-CT, was jetzt sowieso langsam dran wäre. Laut Knochenmarkpunktion habe ich nur noch neue Stammzellen und mein Knochenmark soll stark sein. Dann war ich noch bei der Sportmedizin, weil ein Belastungs-EKG gemacht werden sollte. Deswegen konnte ich nicht gleich nach meinem Krankenhausaufenthalt wieder aufs Laufband. Die Ärztin fand das aber auch komisch, da ich ja sogar in meinem Isolierzimmerchen auf dem Laufband war. Also konnte ich so aufs Laufband. Heute war ich dann noch bei der Einzelkrankengymnastik und wurde eingestuft. Ich gehöre zu den fitten und kann ab nächste Woche dreimal die Woche eine halbe Stunde aufs Laufband und bekomme eine halbe Stunde Krankengymnastik in der Gruppe. Wenn ich dann noch mit dem Rad ins Krankenhaus fahre, mache ich dann zwei Stunden Sport. Das hört sich doch gut an. Ach ja, am Montag nach dem Krankenhaus hatte ich immer noch miese Laune trotz Sport. Ich saß den ganzen restlichen Tag vorm Fernseher, habe vor mich hin gemampft und mich einfach scheiße gefühlt. Jetzt geht es mir aber wieder besser. Am Dienstag war ich wegen meines Gesichts bei niedergelassenen Dermatologen. Die konnten eine GvHD nicht ausschließen und wollten mich zur Probenentnahme ins Krankenhaus schicken und nicht anbehandeln, um das Ergebnis nicht zu verfälschen. Ich dachte: „Na toll“ Ich hatte gehofft, dass endlich mal was dagegen gemacht wird. Ich bin also gestern zur dermatologischen Ambulanz geradelt, die ganz in der Nähe meiner Uni liegt. Mein Krankenhaus und meine Uni gehören ja auch zusammen. So sicher waren sich die Ärzte da auch nicht und erst sollte ich Montag zur Chefarztvisite wieder kommen, bis dahin ohne Behandlung. Da ich ja schon zwei Wochen damit rumrenne, kann ja mein Leidensdruck nicht so groß sein. Jetzt haben sie mir aber doch eine Salbe verschrieben und ich musste heute zur Fotoabteilung ein Foto von meinem Gesicht machen lassen, damit der Chefarzt am Montag mein Gesicht vor der Behandlung betrachten kann.
Außerdem rief mich mein Oberarzt gestern morgen an, um mir zu sagen, dass ich einen Virus habe. Der würde sich wohl ohne Behandlung erst in etwa zwei Wochen eventuell in einer Lungenentzündung bemerkbar machen. Deswegen musste ich mir heute bei ihm noch ein Rezept abholen. Von meinem Oberarzt muss ich euch ja auch noch berichten. Ich finde es richtig gut, dass er sich jetzt für meinen Fall verantwortlich fühlt. Wenn er mich zu Hause zurückruft, um mir meine Blutwerte zu sagen, meldet er sich mit „Ich bin`s“ oder fragt, was es gibt. Seit meine Eltern einmal mit waren duzt er mich immer, was mich noch etwas irritiert, was ich aber eher als Vertrauensbasis verbuche. Als er mit meiner Mutter sprach, sagt er seinen Namen und meinte, dass er Kerstin sprechen wolle. Zu Hause scherze ich jetzt immer und rede von Igor Wolfgang, so als wenn ich ihn auch duzen würde. Langsam bekomme habe ich Stress, weil ich mich immer noch um meine Bewerbungsunterlagen für das Stipendium kümmern muss. Heute bin ich bei dem einen Pfarrer persönlich vorbei gefahren, weil seine Briefe immer nicht angekommen sind. Er hat mir ein echt nettes Zeugnis geschrieben, was mich gefreut hat. Meiner Pfarrerin muss ich echt noch in den Hintern treten, weil die immer chaotisch ist und nicht fertig wird. Außerdem geht bei meinen Freundinnen, die sich auch bewerben, auf einmal das große Gezicke los, was ich von denen gar nicht gewöhnt bin. Die eine, die schon halb in der Gemeinde wohnt, hat mir total das Gefühl gegeben, dass ich so wenig in der Gemeinde mache, so dass die Pfarrerin Probleme hat mein Zeugnis zu schreiben. Ich hatte danach echt so was wie ein Schamgefühl und habe mir aber gesagt, dass meine Betreuung eines Konfirmandenjahrgangs ja schon ein Grund wäre mir eine Bescheinigung darüber zu geben. Ich will mir hier nichts einreden lassen. Ich persönlich empfinde meine Freundinnen nicht als Konkurrentinnen, da sich da ja ganz viele andere bewerben. Ich gebe halt mein Bestes und mehr geht nicht. Wenn ich meine Bewerbung abgeschlossen habe, will ich mich wieder der Suche nach potentiellen Stammzellenspendern widmen. Morgen kann ich mal schlafen, da habe ich kein Arzttermin. So jetzt wisst ihr wieder, was bei der Kerstin ab geht.
Liebe Grüße und tut mir leid, dass ihr euch Sorgen gemacht habt. Im Moment verdränge ich die Angst vor meinem eventuellen Krebs.
Kerstin
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Morbus Hodgkin, II B mit Riskofaktor, ED 4/06, 8x BEACOPP eskaliert,Bestrahlung, 1. Rezidiv 03/07, 2x Chemo mit DHAP, 20.06.07 SZT; Bestrahlung;Reha, 2. Rezidiv, 18.04.08 allogene SZT, 03.06.08 komplette Remission , 2019: Knoten im Brustkorb, 03/19 ED Peripherer Nerventumor, 6 Zyklen Chemo, Bestrahlung, OP, bestätigte Remission 01/20
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