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Alt 20.11.2003, 13:46
Gast
 
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Standard An meine liebe Mama

Liebe Eva,

heute geht es mir wirklich schon wieder etwas besser. Gestern war kein guter Tag. Hab im Moment wohl zuviel Stress. Nun zu Deinen Fragen.
Ich bin 22, wohne in der Nähe von Berlin und mein Baby kommt Anfang April zur Welt. Es ist sehr schön, wie glücklich Du bist. Das macht mich fast ein bisschen neidisch. Ich bin mit meinem Freund jetzt schon knapp 4 1/2 Jahre zusammen. Am Anfang war alles wunderschön. Wir haben uns nie gestritten und es war einfach toll mit ihm. Dann wurde Mutti so krank und ab da fing eigentlich alles an. Wenn man sich tagtäglich so seine Gedanken über den Verlauf der Krankheit macht und wie alles nun weitergehen soll, verändert man sich sehr schnell. Irgendwie habe ich seitdem meine ganze Lebensfreude verloren. Ich war früher ganz anders. War für alles zu haben, war jedem aufgeschlossen gegenüber, war immer fröhlich und habe das auch jedem gezeigt. Doch als es das erste Mal hiess, das die Chancen zu überleben 50:50 stehen, habe ich mich sehr zurückgezogen. Ich war ja damals erst 19, war völlig überfordert mit der Situation. Sonst hat man sein Leben genossen, hat seinen jugendlichen Blödsinn gemacht und von einen auf den anderen Augenblick muss man erwachsen werden. Das war für mich nicht einfach. Man hat sich soviele Sachen gewünscht. Man wollte normal sein, wollte sein Leben geniessen, wie jeder andere Teenager. Doch durch Mama´s Krebs wurde unser ganzes Leben durcheinander gebracht. Immer hat man die Sorge im Hinterkopf. Jedes Mal war es ein Auf und Ab. Schlägt die nächste Chemo an, muss sie wieder operiert werden ect...
Ich bin dann nach 2 Jahren zu meinem Freund gezogen. Damals konnte ich nicht anders. Es musste sein, ich hab dieses hin und her nicht mehr ausgehalten. Ich wollte auch einen Ort haben, wo ich mich nicht ständig damit beschäftigen musste. Im nachhinein bereue ich es zwar, aber es ist halt nicht zu ändern. Ich war ja trotzdem so gut wie täglich drüben, gerade in dem letzten halben Jahr. Darüber bin ich sehr froh. Ich hatte oft das Gefühl, als ob mein Freund eifersüchtig war. Klar, jetzt war ich gerade zu ihm gezogen und schon musste er mich wieder teilen. Das hat ihm bestimmt nicht gerade gefallen. Ich kann ihn da auch irgendwo doch verstehen. Ich bin am Wochenende oft drüben gewesen, wollte nie zu seinen Eltern. Das hat ihn auch angekotzt. Er musste immer alleine zu seinen Eltern gehen. Ich verstehe mich auch nicht sonderbar mit denen. Das habe ich auch nie verheimlicht. Meinem Freund geht es da genauso. Für ihn ist es nur Pflicht zu seinen Eltern zu gehen. Auch weil sie sich immer in unser Leben einmischen wollen. Und trotzdem wurde gerade dieses Thema sehr oft zum Steitpunkt gemacht. Er hat mir vorgeworfen, das wir nur bei meinen Eltern sind, aber nie bei seinen. Für mich war es aber wichtig bei meiner Familie zu sein, gerade weil ich nicht wusste, wie lange ich Mama noch habe. Das hat er früher nicht eingesehen. Erst als es Ernst wurde hat er langsam begriffen. Ich sag ja nicht das er nicht um Mama trauert, er hat auch daran zu knabbern. Das merke ich schon, aber ich hätte es lieber, wenn er sich mit mir darüber unterhalten würde. Mir hilft das sehr viel. Aber er will sich damit gar nicht auseinandersetzen. Er will das wohl mit sich selber klären. Muss ich auch aktzeptieren. Ich aktzeptiere es aber nicht, das meine Schwiegereltern so tun als ob nichts ist. Für sie heisst es wohl: Aus den Augen, aus dem Sinn. Ich muss dazu sagen, das die beiden Familien sich zwar kannten, aber sich nur an Geburstagen von mir und meinem Freund gesehen haben. Sonst nicht, weil es Mama ja immer so schlecht ging und sie die Gegenwart von denen nicht ertragen konnte. Vor 2 1/2 Wochen hätte Mama ihren 46 Geburtstag gehabt. Da ruft meine Schwiegermutter einen Tag später an und fragt ob wir den Tag schön verbracht haben. Sie hätte mir auch einen Knüppel vor´s Gesicht hauen können. Da hätte sie den gleichen Effekt gehabt. Ich fand das nicht gerade prickelnd. Als ob wir diesen Tag gefeiert haben. Es sind immer diese Kleinigkeiten die mich so wütend und enttäuscht machen. Ich bin mitten in der Trauerbewältigung und ich werde einfach nicht in Ruhe gelassen. Sie wollen unser ganzes Leben bestimmen. Wir sollen doch heiraten, am liebsten noch bei denen mit einziehen, damit sie ihren Enkel um sich rumhaben. Alles wird uns vorgeschrieben. Und wenn ich mich mal wehre und sage, wenn mir etwas nicht passt, werden sie gleich pampig. Dann sind sie gleich beleidigt. Du wärst bestimmt auch entnervt, wenn Du alle 2 Tage angerufen wirst und einen Vortrag über Dein Leben kriegst. Mein Freund hat früh gelernt die Ohren auf Durchzug zu stellen, wenn es da drüben Zoff gab. Aber ich bin nicht gewillt, mich ständig zu beugen, damit ich ihnen ja nicht in die Queere komme. Ich bin nun mal so wie ich bin. Ich will mich nicht verstellen. Deswegen kracht es oft da drüben. Vielleicht lasse ich auch zuviel an mich ran. Vielleicht kannst Du es ja jetzt ein wenig nachvollziehen, was ich mit dem terrorisieren meine.
Ich fühle mich hier an diesem Ort sehr wohl, will gar nicht wegziehen. Ich meinte das bloss im Bezug auf meine Schwiegereltern. Früher haben wir nur 2 Strassen entfernt gewohnt. Da wurde dann jedes Wochenende unangemeldet geklingelt. So lange bis endlich einer aufgemacht hat. Wir sind dann schon extra etwas weiter weggezogen. Das hat auch ganz gut geklappt, aber seitdem sie wissen, das ich ein Kind bekomme wird es wieder schlimmer.
Ich glaube auch das alles besser wird, wenn der kleine Matz erstmal da ist. Dann werde ich bestimmt anders über viele Sachen denken. Und trotzdem wird es nochmal schwer, wenn ich mit dem Baby zum Friedhof muss. Muss ja mein Versprechen einhalten.
Sicher, meine Mama ist auch immer bei mir. Aber ich gehe gerne zum Friedhof. Es ist für mich auch ein Ort der Stille und des Friedens. Es ist ja nicht so, das ich sie nur dort spüre. Eher im Gegenteil. Ihr Körper liegt zwar dort unten, aber ihre Seele ist im Haus meiner Eltern und bei mir drüben, wenn ich schlafen gehe. So empfinde ich es jedenfalls oft. Glaubst Du an ein Leben nach dem Tod? Früher hätte ich allen einen Vogel gezeigt, wenn sie von Zeichen gesprochen hätten. Aber jetzt wo mein ganzer Glauben sich verändert hat, sehe ich alles ganz anders. Auch durch die Berichte von Nah-Tod-Erfahrungen. Als mein Opa gestorben ist, habe ich mich überhaupt nicht mit dem Thema befasst. Das war für mich irgendwie was anderes. Ich muss dazu sagen, das ich meinen Opa über 5 Jahre nicht gesehen hatte. Ich war zwar trotzdem traurig, aber das war alles noch ok. Doch seit Muttis Tod bin ich der festen Überzeugung das es ein Leben danach gibt. Auch weil sie mir ab und zu ein Zeichen schickt. Ich hoffe Du denkst jetzt nicht, das ich völlig durchgeknallt bin. Ich bin wirklich ganz normal. Bis auf meine negative Einstellung (im Moment jedenfalls noch). Hoffe ich werde die auch noch los. Wenn´s nicht klappt muss ich wohl wieder zum Psychotherapeuthen.
Ich glaube ich habe erstmal genug geplaudert. Hoffe ich hab Dich nicht damit überrannt.
1000 liebe Grüsse schickt Dir
Tina
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